Das schöne Grauen

Christian Kracht schafft es in seinem Roman, die Bildgewalt des Kinos aufs Erzählen zu übertragen.

Roland Barthes’ These vom Tod des Autors postuliert, dass der Autor eines Textes keine Bedeutung hat. Der Sinn werde allein vom Leser erzeugt. Jedoch wird bei den Romanen Christian Krachts trotzdem immer wieder gefragt: Wer spricht hier eigentlich? Der Erzähler, die Romanfigur oder doch Christian Kracht?  

Dass dies überhaupt gefragt wird, liegt an Krachts Spiel mit Erzählverhalten und inszenierter Selbstdarstellung, sodass schon beim 1995 erschienen Erstwerk „Faserland“ Kracht mit dem schnöseligen, dandyhaften Ich-Erzähler gleichgesetzt wurde. Spiegel-Kritiker Georg Diez tappte gewissermaßen in die Falle, verwechselte Autor und Romanfigur und schrieb Kracht bei seinem letzten Roman „Imperium“ fälschlicherweise rechtes Gedankengut zu. Trotzdem wurde „Imperium“ zu einem Bestseller, der Kracht auch internationale Aufmerksamkeit bescherte. Soweit das Tamtam.

Nun also die „Toten“. Es geht um die Macht der Bilder: Was darf gezeigt bzw. geschrieben werden, wenn alles gesehen wird? Dafür versetzt er die Leser in das Jahr um 1933. Der furchteinflößend intelligente Japaner Masahiko Amakasu plant einen Komplott gegen die imperiale Macht des Hollywoodfilms und den aufkommenden Tonfilm. Dafür soll eine „zelluloide Achse“ zwischen Japan und Deutschland entstehen. Amakasu wendet sich dafür an UFA-Chef Alfred Hugenberg. Dieser beauftragt über Umwege den schweizerischen Regisseur und die Hauptfigur des Romans Emil Nägeli einen Film in Japan zu drehen. Die Literaturkritikern Lotte Eisner und Siegfried Kracauer überreden Nägeli jedoch diesen Film als Gruselfilm umzusetzen, der „als Allegorie des kommenden Grauens dienen solle.“ Nebenbei gibt es als Zwischenschauplätze unter anderem ein Attentat auf den japanischen Premierminister und Charlie Chaplin wird zum Mörder. Die Toten des Romans sind Filmschaffende, die sich im „Totenreich, jener Zwischenwelt, in der Traum, Film und Erinnerung sich gegenseitig heimsuchen“ bewegen. Tote gibt es in dem Roman natürlich trotzdem reichlich.

Das Buch orientiert sich streng an der Struktur des japanischen No-Theaters und lässt seine Figuren gleich selbst erklären, was das bedeutet: „Das Essentielle am No-Theater sei das Konzept des jo-ha-kiū, welches besagt, das Tempo der Ereignisse solle im ersten Akt, dem jo, langsam und verheißungsvoll beginnen, sich dann im nächsten Akt, dem ha, beschleunigen, um am Ende, dem kiū, kurzerhand und möglichst zügig zum Höhepunkt zu kommen.“ An diese Regelpoetik hält sich Kracht dann auch und lässt mit ihrer Kindheit beginnend die beiden Antagonisten des Romans –  Nägeli und Amakasu – im weiteren Verlauf  aufeinandertreffen.

Die Sprache Krachts ist magisch, bisweilen aber auch sperrig und mit Adjektiven wie „obsidianfarben“,„alraunig“ oder „weißbeschürzt“ und nicht endenden Gerundiven geschmückt. Geschrieben wird gewissermaßen filmisch, so als würde der Erzähler direkt durch die Linse einer Kamera auf das Geschehen blicken: Ihr Kopf sinkt hinunter, bis der Scheitelpunkt des sicheren Halts überschrittbar ist, sie gleitet ab, will sich im letzten Moment noch festhalten, ruft erstaunt aus, fällt lärmend und tief, und ihr stürzender, sich überschlagender Körper kommt schlußendlich über Kakteen drapiert zur Ruhe, deren scharfe, unbarmherzige Stacheln ihr die Gesichtshaut aufgerissen, ja fast abgezogen haben.“ Die Erzählweise ist zumeist brutal und noch brutaler mit dem distanziert, ironischen (Unter-)Ton des Erzählers.

Zudem gibt es postmoderne Spielereien aller Art wie Zitate, die para-historische Vermischung von Fiktivem mit Realem, intertextuelle Anspielungen auf unter anderem Hölderlin und alles ist natürlich ziemlich Meta.

So sind wie in jedem Kracht’schen Werk die lächerlich überzeichneten Figuren in die Toten“, allen voran der Regisseur Nägeli, verzweifelt Suchende, letztlich Gläubige, die den transzendenten Sinn anderswo suchen und flüchten. Es zeigt sich aber auch die Angst, dass sich hinter all dem angehäuften Schmuck letztlich nichts als bedeutungslose Leere verbirgt.

Gleiches darf auch auf Krachts Roman angewandt werden, um festzustellen, dass hinter dem Ornat von kauzigen Adjektiven und Gerundiven eine präzise und ironische Sprache steckt, eingebettet in den strengen und unkonventionellen Takt des No-Theaters, die dem schönen Grauen eine Stimme gibt – nämlich die des Erzählers.

„Die Toten“ ist am 8. September 2016 bei Kiepenheuer&Witsch erschienen und kostet 20 Euro.

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