Die Betrachtung einer Legende

Wilhelm Tell, der große Held?

Für Schauspieldirektor Frank Behnke ist es das dritte Mal, dass er Schiller auf die Bühne des Theaters Münster bringt. Dieses Mal ist es der Wilhelm Tell, der hier seit 1945 nicht mehr aufgeführt wurde. Doch  wie steht es heute mit der Legendenbildung um den schweizerischen Titelhelden? Welcher Preis ist für den Kampf um Freiheit zu zahlen?

von Corinna Wolters

Wilhelm Tell (Jonas Riemer) platziert den Apfel vor seinem legendären Pfeilschuss!
© Oliver Berg

In der Inszenierung des Schauspiels stehen sich die heißblütigen Freiheitskämpfer und der kaltschnäuzige Tyrann Gessler (Christoph Rinke) gegenüber. Dazwischen: Tell, der seiner Not gehorchend zum Mörder des einen und zum Held der anderen wird. Am Ende ergibt sich jedoch ein anderes Bild: Als Freiheitskämpfer im Strahlenkranz, im Hintergrund die Berge seiner Heimat, posiert Tell überlebensgroß mit seiner Armbrust. Als Held wird er auf eine steile graue Wand (Bühne: Peter Scior) projiziert.  Bevor Tell die Armbrust anlegt, werden die Zuschauer noch über diese symbolträchtige schweizerische Ikone informiert: von der amerikanischen Unabhängigkeit bis in die rechtsextreme Szene, Tell ist ein Held, ob er will oder nicht. Gespielt wird der Held wider Willen überaus gekonnt von Jonas Riemer.In kurzen Hosen und übergroßem Parka schafft er es, die verschrobene Sanftmut des Titelhelden zu vermitteln. Statt der Axt im Haus schwingt er da lieber seine Stricknadel und bringt seinem Sohn Walter (Carlo Steinhaus, Justus Beermann) das Stricken bei, während seine Frau Hedwig (Ulrike Knobloch) das Holz hackt. Beeindruckend ist jedoch das Pathos, das Riemer an den Tag legt, wenn ihn seine Verzweiflung übermannt. So überzeugend spielt er hierbei den Tell, dass auch bei dem bekannten Apfelschuss ein wenig Sorge um den Sohn das Publikum zu ergreifen vermag. Behnke inszeniert den alten Legendenstoff mit viel Ironie.

Tell (Jonas Riemer) erzählt von seiner Flucht. © Oliver Berg

Wiederholt wird Tell als Held gepriesen, er selbst steht dabei schulterzuckend am Rande der Bühne. Spricht er von seiner Flucht und von seiner Todesangst, so spricht er nicht allein: Die Legende des Armbrustschützen ist seinen Landsleuten bestens bekannt, wird daher jetzt auswendig und mit viel Leidenschaft rezitiert. Zunächst verwundert, dann irritiert blickt Tell sich dabei um. Im vorletzten Akt integriert er dann sogar sein Publikum in das Spiel: Tell sitzt im Zuschauerraum und spricht eine der bekannten Stellen im Stück gemeinsam mit ihm: „Und jetzt alle: Durch diese hohle Gasse muss er kommen…“ Bei der dritten Wiederholung sind alle mit dabei. Durch eine an Wahlkampf erinnernde Videomontage, die Tells Legendenbildung in die Gegenwart zieht, wird die Rede des Reichsvogts eingeleitet. In schallenden Tönen vermischen sich die ihm von Schiller in den Mund gelegten Worte mit Zitaten Gaulands. Und Tell legt ein erneut die Armbrust an. Ansonsten recht nah an der Vorlage nimmt sich die Inszenierung hier eine weitere Freiheit heraus. Nach vollbrachter Tat steht Schwiegervater Walter Fürst (Wilhelm Schlotterer) über dem leblosen Körper Gesslers. „So was hätt einmal fast die Welt regiert“, zitiert er hier mahnend Bertolt Brecht: „Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.“ Ein kurzes Raunen geht als Reaktion durch das Publikum.

Doch was bleibt? Freiheit? Die Frage nach berechtigter Gewalt aus Notwehr bei einer Revolution? Ein Mensch zum Helden instrumentalisiert? Mit Fäusten und Bierdosen feiern die berauschten Eidgenossen ihren Tell und den Sieg. Tell zumindest zieht es zurück ins Heimische. Er stößt verbal sowohl Kaisermörder Parricida (Christoph Rinke) als auch die altbewährte Armbrust von sich, mit der er aber dann am Ende doch wieder als Held der Freiheit auf die Leinwand projiziert wird.

 

Wilhelm Tell könnt ihr noch bis Mitte Februar 2019 im Stadttheater Münster ansehen: 16. Januar 24. Januar , 5. Februar, 9. Februar und 17. Februar

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