Sex, Aufklärung und keine Tabus

Der Verein „Wir haben Lust“ setzt sich für sexuelle Aufklärung ein.

Emma Eder

2020 gründete Emma Eder (22) gemeinsam mit sechs Freund:innen den Verein „Wir haben Lust“ für sexuelle Aufklärung. Denn: Sie und ihre Freund:innengruppe aus Hamburg waren mit dem derzeitigen Aufklärungsangebot unzufrieden. Als Gründungsmitglied kümmert sich Emma, die Politik und Recht an der WWU Münster studiert,  insbesondere um die Vereinsorganisation. Außerdem ist sie zuständig für den Social Media Account (Instagram: @wirhabenlust), Networking und Kooperationen. Im Interview erzählt Emma, warum es einen Verein für sexuelle Aufklärung braucht. 

Wie kamt ihr darauf, einen Verein zu gründen? 

Die Idee entstand am Tag nach Silvester 2019/20. Wir haben hier in Münster mit Freund:innen aus Hamburg gefeiert. Am bekannten „Katertag“ haben wir uns dann viel über eigene Erfahrungen bei der sexuellen Aufklärung unterhalten. Wir haben uns richtig in Rage geredet, weil wir gemerkt haben, wie viel schiefgelaufen ist und meinten dann spontan, irgendwas muss man doch tun. Und dann haben wir erstmal nichts getan. 

Und wie ging es dann weiter?

Damals hat sich die Kerngruppe gebildet. Anfang 2020 wurde die Idee konkretisiert, in dem Zeitraum ist meine beste Freundin Lili zu mir gezogen und wir haben uns mit der Umsetzung unserer Idee beschäftigt. Einen Verein zu gründen ist viel Papierarbeit, aber auch gar nicht so schwer, wie alle immer sagen. Im Juli 2020 war dann die offizielle Gründungsversammlung. 

Wer gehört alles zu eurem Verein?

Wir sind mittlerweile 70 Mitglieder, also von sieben auf 70, damit haben wir auch nicht gerechnet. Bei uns sitzen Menschen von 17 bis 27 Jahren. Viele kommen aus Münster und Hamburg, andere aus Berlin, Marburg, Wien. Wir sind überall und wir wachsen. 

Was ist euer Ziel?

Unser Ziel ist es, sich für eine gerechte, aufgeklärte Gesellschaft einzusetzen. Dass über Sex und Sexualität mit weniger Scham, mit weniger Tabus gesprochen wird. Dass sich Menschen, gerade Jugendliche, gehört und verstanden fühlen. Zum Beispiel müsste auch über Konsens gesprochen werden. Wieso reden wir bei sexueller Aufklärung nicht über Konsens? Darüber, dass man während man sexuell aktiv ist, fragt: Darf ich das tun? Darf ich dies tun? Kann das nicht auch sexy sein?

Und wie wollt ihr euer Ziel erreichen?

Unser erstes Projekt war und ist, dass wir Materialien zur sexuellen Aufklärung veröffentlichen möchten. Das soll dann in Anlehnung an den Liebesbrief „Lustbrief“ heißen. Außerdem wollen wir Beratungsarbeit leisten, das heißt, wir möchten auf Augenhöhe, als selbst noch junges Team, jungen Menschen bei Fragen rund um sexuelle Aufklärung beiseite stehen. Unser langfristiges Ziel ist es, an Schulen zu gehen und dort aufzuklären.

Auf eurer Website gibt es auch einen Blog…

Genau, damit wollen wir eine Plattform bieten, mit der Menschen sich über ihre Ansichten und Erfahrungen austauschen dürfen. Auf diesem Blog können sowohl vereinsinterne als auch externe Menschen Texte schreiben. Außerdem möchten wir ein Lexikon zu Sexualität veröffentlichen, um die Anbindung an alle zu gewährleisten. 

Warum habt ihr Lust?

Es geht uns darum, dass man bei sexueller Aufklärung nicht bei der Frage „Wie entsteht das Kind“ aufhört, sondern, dass es da erst anfängt. Wieso wir wirklich Sex haben ist erstmal sexuelle Lust. Sex haben, um Kinder zu kriegen, ist ein veraltetes, traditionelles Bild, was der jetzigen Zeit nicht mehr gerecht wird. 

„Guess what, wir haben Sex, weil wir sexuelle Lust empfinden und nicht jedes Mal, weil wir ein Kind zeugen möchten.“

Was ist bei sexueller Aufklärung wichtig?  

Über Begriffe, also über Sprache rund um Sex und Sexualität aufzuklären, ist ein wesentlicher Bestandteil oder sollte es sein. Sprache formt unser Denken und Denken beeinflusst unser Handeln. Daher ist Sprache so wichtig, gerade wenn es um Sex geht. Zum Beispiel das Wort Schamlippen: Was hat das mit Scham zu tun? Und wenn ich den Begriff Schamlippen immer wieder benutze, wie schaffe ich es dann keine Scham zu empfinden, wenn es sogar so heißt? Deswegen sollten wir stattdessen beispielsweise „Vulvalippen“ sagen. 

Ist sexuelle Aufklärung in unserer Gesellschaft ein Tabuthema?

Ich finde sexuelle Aufklärung an sich ist kein Tabuthema. Innerhalb der sexuellen Aufklärung werden verschiedene Themen tabuisiert und das ist das Problem. Zum Beispiel gleichgeschlechtlicher Sex, sexueller Missbrauch, Scham, sexuelle Lust oder Unlust, Selbstbefriedigung. Wir werden aufgeklärt, aber nicht umfänglich, sondern nur über das, was gesellschaftlich anerkannt ist, worüber geredet werden darf. Das verzerrt einfach das Bild von Sex und Sexualität und das ist sehr gefährlich. Weil Menschen glauben, dass diese sexuelle Aufklärung, die sie bisher erfahren haben, abschließend ist, ist sie aber gar nicht.

Sexuelle Aufklärung ist auch auf Netflix präsent, beispielsweise in Form der Serie „Sex Education“. Was hältst du von solchen Serien? 

Persönlich finde ich das gut. Jedes weitere Angebot ist ein Angebot mehr, was wir brauchen. Gerade die Netflixserie „Sex Education“ ist super niedrigschwellige Bildungsarbeit. Das kann man sich einfach angucken, ohne dass man die Hürde überwinden muss, gegenüber einer Person eine Frage zu stellen. Positiv ist auch, dass gerade „Sex Education“ lässig und cool ist. Das ist ansprechend für Jugendliche und somit ein Riesenvorteil. Andererseits muss die Serie pauschalisieren, also sie klärt pauschal auf, für alle Zuschauer:innen. Dabei ist Aufklärung super individuell und am Einzelfall orientiert.

Wie hat euer Umfeld auf die Gründung des Vereins reagiert? 

Viele Menschen haben sich gefreut, weil sie sich angesprochen gefühlt haben und meinten: „Genau so etwas braucht es!“ Jede:r kann sich mit dem Thema identifizieren und hat seine eigene Geschichte. Ich hatte das Gefühl, ich spreche allen aus der Seele, das war schon überwältigend. Man hat das Gefühl, man macht das Richtige, man bewegt was. 

Wer kann bei euch mitmachen?

Alle können mitmachen! Man kann bei uns Mitglied werden, sowohl aktiv als auch passiv, es gibt keine Verpflichtungen und auch keinen Mitgliedsbeitrag. Was wir gemeinsam haben, ist die Lust an sexueller Aufklärung. Die schönste Art von Unterstützung ist, wenn man dem Verein Feedback gibt. Es motiviert unglaublich, zu sehen, dass jemand den Text mochte, oder etwas noch nicht wusste, was er oder sie bei uns gelernt hat. 

Was bedeutet sexuelle Aufklärung für dich?

Letztendlich ist sexuelle Aufklärung eine Lösung, nicht die, aber eine Lösung für einige Übel in unserer Welt. Es ist viel mehr als Kondome über Holzpenisse zu ziehen. Es kann mit Vorurteilen aufräumen, es kann Gleichberechtigung fördern und es kann Menschen das Gefühl geben, verstanden und gesehen zu werden. Das sind wichtige Säulen einer gerechten Gesellschaft. 

Was möchtest du unseren Leser:innen abschließend mitgeben?

Setzt euch mit dem Thema sexuelle Aufklärung auseinander, ganz egal, wie. Ob persönlich, im Verein oder indem man Bücher liest. Ich möchte Menschen dazu ermutigen auch am WG-Tisch darüber zu reden, oder mit den Eltern, Geschwistern, Partner:innen. Let’s talk about sex.


Mehr Infos:

Website: https://www.wirhabenlust.de/

„Wir haben Lust“ findest du auf Facebook, Instagram und Twitter @wirhabenlust.

Auf der Internetseite findet ihr auch den Termin für die nächste Kennenlernrunde.  (Anmeldung per Mail an mitglieder@wirhabenlust.de)

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