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Buchrezension: Unterwegs mit den Ärmsten der Gesellschaft

Man sieht sie am Münsteraner Bahnhof, im Hamburger Tunnel, an Häuserfassaden in der Innenstadt gelehnt oder vor Kirchen hockend – Obdachlose. Und doch sehen viele sie nicht wirklich: Ignoriert oder beschimpft leben wohnungslose Menschen bis heute weitgehend isoliert.

Foto: Website des Gütersloher Verlagshauses

Gerhard Trabert, ein deutscher Arzt und Sozialarbeiter arbeitet seit Jahrzehnten mit den Menschen am Rande unserer Gesellschaft. Er und sein Team besuchen Obdachlose mit dem Arztmobil, einem „mobilen Sprechzimmer“, wie er es nennt, um sie medizinisch und seelisch zu versorgen.

Über seine Erfahrungen hat der 63-Jährige nun ein Buch geschrieben. „Der Straßen-Doc: Unterwegs mit den Ärmsten der Gesellschaft“ heißt es und erzählt von den verschiedenen Schicksalen, mit denen er sich täglich auseinandersetzt.

Trabert erklärt, dass es bei vielen ein schwerer Schicksalsschlag ist, wie der Verlust eines geliebten Menschen, der sie auf die Straße treibt, sie derartig schockt, dass sie ihren Job und ihre Wohnung verlieren, vorige soziale Kontakte abbrechen und fortan auf der Straße leben müssen oder wollen.

Da ist Heidrun, die als Kind von ihrem Stiefvater sexuell missbraucht wurde und mit 18 auf der Straße landete – ohne Ausbildung und ohne Perspektive. Trabert erzählt eindrücklich und persönlich ihre Geschichte, schildert ihre Alkoholsucht und ihr Schicksal, sodass man das Gefühl bekommt, man kenne Heidrun persönlich.

Der vierfache Vater erzählt aber auch von der gesamtgesellschaftlichen Problematik im Umgang mit Wohnungslosigkeit. Wohnungslose würden häufig ausgegrenzt, mit Vorurteilen belegt oder sogar misshandelt. Die Überlegenheit, die arbeitende Menschen häufig Wohnungslosen gegenüber spüren führe zu einem regelrechten „Sozialrassismus“ beschreibt Trabert.

„Der Straßen-Doc“ bietet Einblicke in das uns so oft unbekannte Leben von Obdachlosen und öffnet denjenigen die Augen, die sich allein von Fakten und nicht von Mitgefühl leiten lassen. Dabei überzeugt Trabert mit seiner Expertise und seiner Menschlichkeit, wenn er neben seinen Schilderungen auch persönliche Gedanken in das Buch mit einfließen lässt:

„Oft habe ich mich gefragt, wie würde ich reagieren, wenn meiner Frau, einem meiner Kinder so etwas passieren würde? Den Sinn, den Inhalt des Lebens verloren und dann ins Nichts gefallen. Dieses so abwegige Leben und Verhalten ist auf einmal gar nicht mehr so unvorstellbar und fremd.“

„In Deutschland muss niemand auf der Straße leben“ ist ein Satz, der häufig in Diskussionen über das Thema Wohnungslosigkeit fällt und das Thema abwürgen will. Doch Wohnungslosigkeit kommt in Deutschland trotzdem vor und Traberts Buch öffnet die Augen seiner Leser für die Nöte der Ärmsten und sensibilisiert dafür, dass auch in Deutschland jeder und jede Einzelne immer noch mehr für Obdachlose tun muss.

Fazit:

Ein Buch, das zum Nachdenken anregt und dazu führen wird, dass man sich beim nächsten Gang am Bahnhof weniger leicht umdrehen können wird. Absolut lesenswert, nicht nur für angehenden Sozialarbeiter:innen!

Gerhard Trabert: Der Straßen-Doc: Unterwegs mit den Ärmsten der Gesellschaft. 20 Euro im Buchhandel.

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