ich schreibe darüber, wie es ist im 21. jahrhundet anfang zwanzig zu sein. wie es ist, sich zwischen krisen, tiktoks und kriegsausbrüchen eine zukunft vorzustellen. wir können alles sein, queer, polyamor, monogam, aber was wollen wir eigentlich? wir können so viel swipen, wie wir wollen, so viele menschen sind nur einen klick von unserem leben entfernt, haben tausend optionen. wir studieren, wir beschäftigen uns mit der welt, wir reisen viel, aber wie fühlen wir uns eigentlich dabei? darum geht es hier.
ich bin zwanzig, mein kopf ist voll. ich sitze im bus, kann nicht länger als zwei sekunden aus dem fenster sehen. mein kopf ist zu laut, die welt ist zu schnell, um ihr zuschauen zu können. die bilder prasseln wie hagel, schütten wie strömender regen, ballern, es gibt keine ruhe da draußen, wie soll ich sie dann in mir finden?
mir gegenüber sitzt eine alte dame, graue kurzhaarfrisur, buntes halstuch, lederstiefel. sie trägt eine große brille und roten lippenstift auf den faltigen lippen. ihre augen haben mehr als achtzig jahre leben, mehr als achtzig jahre dieser welt gesehen. sie sitzt mir gegenüber, sie schaut aus dem fenster, so gelassen. sie hat gelebt. sie hat keine angst mehr etwas zu verpassen, schaut auf die vorbeiziehende stadt. ich gucke sie an, 60 jahre älter als ich. wie schnell vergehen 60 jahre dieses lebens?
ich frage mich, ob das leben an mir vorbeizieht wie die stadt hinter dem busfenster. leben wir noch oder sterben wir schon? in der stadt bin ich umgeben von jungen menschen, meinen freund:innen. wir denken nicht an das ende des lebens, es scheint unendlich, so wie diese welt, so selbstverständlich. die welt war doch schon immer da, wie sollte sie’s mal nicht mehr sein, wie sollten wir mal nicht mehr sein. wir lachen über unsere psychische gesundheit, ärgern uns über boomer, leben schneller als wir älter werden. gestern wieder vergessen, auch mal vom schreibtisch aufzustehen, letzten monat doch nicht zur ärztin gegangen. die flugreise für den nächsten urlaub ist auch schon gebucht, das schlechte gewissen rede ich mir mit geldsorgen schön. jeden tag schlaf ich eine stunde weniger, sonst verpasse ich zu viel, sonst schaffe ich es nicht mehr zwischendurch noch zu leben.
unsere timelines sind so voll, ein strom an lebendigkeit, der niemals abreißt, – ich swipe bis mein daumen abfällt. ich mache noch ein bereal und ertrinke in meiner selbstzentriertheit. und dann schaffe ich es nicht mehr aus meinem bildschirm raus, bin gefangen in sechs zoll handy-fläche. die bunten selfies sind zu schön um die welt da draußen zu sehen. ich verschanze mich hinter nachrichten-posts, sie verschrecken jede, die mir zu nahe kommt. ich niste mich in einem nest aus federweichen tiktoks ein. wenn ich ab und zu einen aktivistischen post aufesse, wird das schon alles mit der welt. ansonsten ernähre ich mich von seichter unterhaltung, luft und liebe, wovon sonst. dopamin rauscht von den algorithmen direkt in mein blut, ich verblute im glück.
irgendwann hält der bus an. ich schau auf, habe alle häuser der stadt verpasst. die alte dame lächelt mich an und steigt aus.