Interview mit Kommunikationswissenschaftlerin über Verschwörungstheorien in der Corona-Krise
Wissenschaftler:innen der WWU haben mit einer Studie über die Berichterstattung alternativer Nachrichtenmedien während der Coronakrise weltweit Aufmerksamkeit erregt. Kurz vor der Veröffentlichung des zweiten Teils der Studie haben wir mit der Erstautorin Svenja Boberg vom Institut für Kommunikationswissenschaft (IfK) gesprochen.
Frau Boberg, Sie haben Anfang April eine Studie veröffentlicht, in der Sie etwa 2.400 Facebook-Posts alternativer Nachrichtenmedien analysiert haben. Was haben Sie dabei herausgefunden?
Svenja Boberg: Wir konnten feststellen, dass klassische Narrative, die man vorher schon aus Alternativmedien kannte, eins zu eins auch in Bezug auf Corona aufgegriffen und leicht angepasst werden: Anti-Migration, Anti-Klima und die Regierung, die uns angeblich alle in den Ruin treibt. Außerdem haben wir – nicht viele, aber einige – Posts mit Verschwörungserzählungen gefunden. Darauf stützen sich dann wiederum Verschwörungstheoretiker auf YouTube.
Um das erstmal zu klären: Was genau sind überhaupt alternative Nachrichtenmedien?
Svenja Boberg: Das sind Medien, die sich als Alternative zum sogenannten Mainstream verstehen. Ihr Ziel ist es, andere Inhalte anzubieten, die dieser Mainstream nicht bietet, und das heißt auch, dass sie sich als Gegenthese zum politischen System verstehen. Kurz: Sie wollen ihre Kritik gegen etablierte Medien, etablierte Politiker und etablierte Institutionen zum Ausdruck bringen.
Führt der Begriff „alternativ“ dann nicht in die Irre?
Svenja Boberg: Ich verstehe, auf welchen Punkt Sie anspielen. Aber das Problem an dieser Stelle ist, dass alternative Nachrichtenmedien ein sehr breites Feld sind. Es wäre daher zum Beispiel schwierig, sie nur als rechtspopulistisch zu bezeichnen. Es ist noch viel Forschung nötig, um das genauer zu definieren.
Was genau ist denn dann das Problem an solchen Nachrichtenmedien?
Svenja Boberg: Das Problem ist, dass in den alternativen Medien in Deutschland gar nicht der Wille vorhanden ist, umfassend über ein Thema zu informieren. Wir beobachten, dass da einzelne Fakten ausgewählt werden, die in den Kontext eines vorgefertigten Narrativs gestellt werden. Das kann keinem journalistischen Standard entsprechen. Im Grunde genommen ist es paradox: Die Alternativmedien würden ohne die Mainstream-Medien gar nicht funktionieren, weil die sich nur an diesem Feindbild abarbeiten. Das, was sie für sich selbst beanspruchen, also eine vernünftige Alternative zu sein und Themen aufzugreifen, die man sonst nirgendwo bekommt, erfüllen sie gar nicht.
Zurück zur Studie: Wie kam die Idee auf, die Facebook-Posts zu analysieren?
Svenja Boberg: Schon zwischen Februar und März hatten wir uns das überlegt. Ein Post wurde in meine Facebook-Timeline reingespült, in dem eine Verschwörungstheorie besprochen wurde. Da wir ja eh im Bereich Desinformation forschen, haben wir schon mal einige solcher Beispiele gesammelt. Irgendwann haben wir uns dann entschlossen, alle Posts der Alternativmedien mehr oder weniger in Echtzeit zu analysieren.
Für die Studie haben Sie tausende Facebook-Posts von Anfang Januar bis zum 22. März (Beschluss der Kontaktverbote) gesammelt. Wie kamen Sie an all die Daten?
Svenja Boberg: In unserem Arbeitsbereich kooperieren wir im Rahmen der Transparency Initiative mit Facebook. Wir können damit keine Kommentare oder so runterziehen, aber wir bekommen die Posts öffentlicher Seiten. Dabei benutzten wir das Tool „CrowdTangle“. Das zeigt uns, was es gerade für Posts gibt und welche Interaktionen sie auslösen.
Insgesamt hatten sie dann 160.000 Posts, darunter 15.000 von alternativen Medien. Wie haben Sie all die Daten sortiert und die 2.400 Corona-Posts herausgefiltert?
Svenja Boberg: Mit Hilfe einer Software konnten wir eine automatische Inhaltsanalyse durchführen. Damit kann man hervorragende Auszählungen machen, zum Beispiel wie oft Angela Merkel genannt wird. Zusätzlich haben wir aber auch analysiert, über welche Themen besonders häufig berichtet wird. Dafür gibt es einen Algorithmus, der in der Lage ist, Muster von zusammen auftretenden Wörtern zu erkennen. Das ist ein sogenanntes induktives Verfahren, das heißt wir haben dem Algorithmus nicht von vornherein gesagt: Guck mal, ob die und die Themen da sind. Stattdessen weist der Algorithmus die Themen selbst zu, je nachdem welche Wörter in dem Post auftauchen. So haben wir dann die Hauptthemen ermittelt.
Was hat Sie bei der Analyse besonders überrascht?
Svenja Boberg: Also so richtig überrascht hat mich da nichts.
Dann andersherum: Welche Erwartungen wurden erfüllt?
Svenja Boberg: Was auf jeden Fall die Erwartungen erfüllt hat – ja, vielleicht war es doch ein bisschen überraschend –, war, dass bei den Hauptthemen, die wir gefunden haben, viel von Corona in Verbindung mit Migration die Rede war. Zwar gab es bei den Mainstream-Medien Fragen, inwiefern Flüchtlingsheime auf das Virus vorbereitet sind, und wie die Bedingungen auf Lesbos sind. Aber ich kann aus unserer zweiten Studie verraten, dass wir in den Mainstream-Medien kein Überthema gefunden haben, das sich mit der Kombination von Corona und Migration auseinandersetzt. Das hat einfach den Grund, dass es im Untersuchungszeitraum keine gehäuften Corona-Fälle im Zusammenhang mit Geflüchteten gab.
Ich persönlich fand es überraschend, dass die Namen Wolfgang Wodarg und Christian Drosten laut Ihrer Studie exakt gleich oft genannt wurden.
Svenja Boberg: Genau, da kann ich schon sagen, dass es bei den Mainstream-Medien anders aussieht. Dort kommt Wolfang Wodarg als Experte nämlich praktisch gar nicht vor. Die Alternativmedien haben nicht nur alternative Nachrichten, sondern auch alternative Experten. Da wird Christian Drosten als ein Gegner wahrgenommen, weil er stellvertretend für das System steht. Genauso ist es übrigens auch uns mit der Studie ergangen, weil auch wir von einigen Seiten wegen unserer Forschung angegriffen worden sind.
Wie sah, abgesehen davon, die Resonanz auf die Studie aus?
Svenja Boberg: So wie ich es wahrgenommen habe, war das Feedback von wissenschaftlicher Seite eher positiv. Auch international wurde die Studie besprochen. Mein Chef (Anm. d. Red.: Prof. Dr. Thorsten Quandt, Leiter des Arbeitsbereiches „Online-Kommunikation“ am IfK) hat zum Beispiel der Washington Post ein Interview gegeben. Aber auch in Italien, Spanien oder Lateinamerika war es ein Thema.
Die Überschrift der Pressemitteilung zur Studie lautete „Verschwörungstheorien statt Falschmeldungen“. Dabei erläutern Sie in Ihrem Arbeitspapier, dass Sie lediglich 1,1% der 2.400 Posts Verschwörungstheorien zuordnen konnten.
Svenja Boberg: Das stimmt. Trotzdem würde ich das, was in der Pressemitteilung vorgestellt wurde, auch so unterschreiben. Nämlich einerseits, dass der Anteil von Fake News kleiner war, als man es erwartet hätte. Und andererseits kann man sagen, dass auch wenn der Anteil von Verschwörungserzählungen in den Alternativmedien relativ klein war, die mit ihrer Berichterstattung weitere Akteure erreichen, zum Beispiel YouTuber. Also sind die Alternativmedien definitiv ein Akteur in dieser Bubble von Verschwörungstheoretikern.
Was macht es mit einem, wenn man sich beruflich jeden Tag mit solchen absurden Theorien beschäftigt?
Svenja Boberg: Naja, ich hoffe ja nichts (lacht). Aber natürlich hat man zwischendurch so Tage, wo man denkt: „Ich dachte, ich hätte schon viel gesehen, aber das ist ein neuer Gipfel an Absurdität!“ Schon als Schülerin fand ich es faszinierend, mir popkulturelle Verschwörungstheorien anzugucken. Diese „Paul is dead“-Theorie, dass Paul McCartney schon 1967 gestorben ist, und durch ein Double ersetzt worden ist – sowas fand ich immer schon spannend, weil es etwas Skurriles und Amüsierendes hat. Was man momentan in der Debatte hat, finde ich weniger amüsierend. Aber da muss man sich ganz klar vor Augen führen, dass das nicht die Mehrheit ist, sondern eben ein sehr spezieller Kreis.
Es ist eine zweite Studie in Arbeit, in der Sie dieselbe Analyse mit den Mainstream-Medien durchführen. Welche Erkenntnisse erhoffen Sie sich dadurch?
Svenja Boberg: Bei den etablierten Medien gibt es den Diskurs, ob sie richtig informiert haben, zu viel, zu wenig, ob sie verharmlost oder Panik gemacht haben. Daher ist es aus unserer Sicht wichtig zu gucken, welche Themen verbreitet werden und welche Akteure zitiert werden. Und wir haben uns angeschaut, inwiefern Verschwörungstheorien von Mainstream-Medien thematisiert wurden. Also wie die zum Beispiel zu Wodarg berichten, und in welchem Kontext das passiert.
Link zur Studie: https://arxiv.org/abs/2004.02566