Das Deutsche gilt als Männersprache – nicht zuletzt seit Luise Puschs Werk aus dem Jahr 1984, das das Thema in die Öffentlichkeit trug. Getan hat sich seitdem jedoch scheinbar wenig. Warum das generische Maskulinum nicht ausreicht und die Ignoranz gegenüber der geschlechtergerechten Sprache nicht konstruktiv ist. Ein Plädoyer.
Obwohl Alexander von Humboldt schon Anfang des 19. Jahrhunderts die Sprache als „bildendes Organ der Gedanken“ beschreibt und Ludwig Wittgenstein ein Jahrhundert später auch feststellt, „Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt“, wird heute noch über die Relevanz von gendergerechtem Sprachgebrauch debattiert. Das muss doch nicht sein!
Gendergerechte Sprache sollte gerade im universitären Raum längst zur Routine gehören. Viel zu schade wäre es, sich ausgerechnet am Tummelplatz der zukünftigen Wissenschaftler*innen der Tatsache zu entziehen, dass es von Bedeutung ist, wie wir sprechen. Wir hatten uns doch gerade erst dafür stark gemacht, dass wissenschaftliche Fakten nicht ignoriert werden dürfen.
Der Einfluss der Sprache
Schon klar, ein Sternchen verändert nicht die patriarchalen Verhältnisse auf der Welt. Aber fast – und zwar so: Sprache ist nichts wertneutrales. Während wir sprechen, wird immer auch eine Perspektive kodiert. Auch in die andere Richtung beeinflusst unser Sprachgebrauch die gedanklichen Bilder, die im Kopf ausgelöst werden. Wenn nur „Doktor“ gesagt wird, dann liegt das daran, dass es lange Zeit völlig undenkbar gewesen wäre, dass es eine „Doktorin“ überhaupt gibt. Die männliche Form hat sich eben aus historischen Gründen im Sprachgebrauch durchgesetzt. Wenn nur „Doktor“ gehört wird, ist es außerdem wahrscheinlich, dass die maskuline Form sich auch als gedankliches Bild widerspiegelt. Grundannahme ist also, dass sich durch die Verwendung einer anderen Form auch das Denken verändert. Arbeiten wir an der sprachlichen Form des Ausdrucks, arbeiten wir also auch an unserem Denken. Gedacht wird schließlich auch in sprachlicher Form. Genau das macht Sprache so mächtig: Sie reproduziert das Weltbild, mit dem wir sozialisiert wurden, und beeinflusst unser gedankliches Bild. Gegenderte Sprache versucht die inhärente strukturelle Misogynie aufzuheben, indem auch das Nicht-Männliche durch die Sprache bis ins gedankliche Bild vermittelt wird. Durch die Sichtbarkeit anderer Geschlechter in der Sprache verschwindet auch in den Gedanken die Vormachtstellung des Männlichen. Mit dem Denken fangen wir an, danach kommt das Handeln.
Momentan ist eine klare Rollenverteilung noch immer Teil unseres Sprachgebrauches: Ingenieur, Arzt oder Physiker vs. Erzieherin, Krankenschwester oder Zahnarzthelferin. Dabei ist kaum abzustreiten, dass es nicht an unseren Geschlechtsteilen liegt, dass Frauen in Allem das schwächere Geschlecht sind, sondern an unserer Kultur. Wir werden von Geburt an mit dieser Rollenverteilung sozialisiert – unter anderem durch Sprache. Indem wir stereotypisierten Sprachgebrauch vermeiden, brechen wir diskriminierende Rollenverteilungen auf. Plötzlich wird im alltäglichen Ausdruck unserer Gedanken auch die „Doktorin“ sichtbar. So beeinflussen wir unsere soziale Realität. Um es mit den Worten des Poeten Sven Hensel zu sagen: „Sprache ist die mächtigste Magie, die wir Muggel haben.“
Mythos generisches Maskulinum
Es hält sich flächendeckend der Verdacht, dass das generische Maskulinum reichen muss, es soll ja schließlich auch Frauen meinen. Gut gemeint, ist aber eben nicht sichtbar gemacht. Dass wir nicht an Frauen denken, wenn wir das generische Maskulinum lesen, haben im Jahr 2002 Wissenschaftlerinnen in einer Studie festgehalten. Sie baten die Teilnehmenden Fragen zu beantworten, die zunächst im generischen Maskulinum formuliert waren, in der zweiten Runde dann in einer gegenderten Form. Also „Nenne deinen Lieblingsmusiker“ in Runde eins und „Nenne deine Lieblingsmusiker/-In“ in Runde zwei. In sechs Fragen mit generischem Maskulinum wurde nicht einmal eine weibliche Person als Antwort gegeben. In einer weiteren Studie gaben ausschließlich die männlichen Teilnehmenden an, das generische Maskulinum im Text besser zu verstehen. Tatsächlich fiel es aber den Teilnehmenden aller Geschlechter leichter, die Inhalte der Texte wiederzugeben, die gegenderte Formen benutzten. Vor kurzem erst beschäftigte sich im Jahr 2015 eine weitere Studie mit dem Einfluss des generischen Maskulinums auf die Besetzung von Führungspositionen. Obwohl die Qualifikationen gleich waren, wurden Frauen für die Ausschreibungen, in denen ein generisches Maskulinum verwendet wurde, nicht als geeignet empfunden. Nur bei den Wortpaaren, in denen die weibliche Form auch sprachlich sichtbar wurde, wurden auch Frauen als geeignet wahrgenommen. Der Vorwurf, dass gendergerechte Sprache die kognitive Verarbeitung von Texten erschwere, ist also salopp gesagt falsch, da die Texte mit generischem Maskulinum grundsätzlich diejenigen waren, die falsch verstanden wurden, nämlich als rein männlich adressiert.
Aber bitte mit Sternchen
Damit nicht genug: Wenn wir schon dabei sind, marginalisierte Gruppen in den – wie wir ja jetzt festgestellt haben mächtigen – Sprachgebrauch zu integrieren, dann bitte nicht nur die konservative Dichotomie Weiblich/Männlich bedenken. Auch das Bewusstsein dafür, dass Geschlecht ein Spektrum ist, kann in unserem Sprachgebrauch vermittelt werden. Wenn es nicht möglich ist, sämtliche geschlechtsspezifische Endungen einfach wegzulassen wie zum Beispiel bei „Studierende“, kommt der Gendergap – der Unterstrich wie zum Beispiel bei Ärzt_innen – oder das Sternchen zum Einsatz. Der Stern symbolisiert in der Informatik eine beliebige Anzahl an Möglichkeiten und Variablen. So soll es auch in der Sprache funktionieren. Damit werden ebenfalls all die Menschen berücksichtigt, die sich streng genommen nicht als rein weiblich oder rein männlich identifizieren. Auch Trans* und Inter* sowie Personen, die sich anders identifizieren, sind schließlich Teil unserer Gesellschaft – deshalb auch Teil unserer Sprache.
Was spricht denn dagegen?
„Es stört mich beim Lesen“, „Es dauert beim Tippen länger“ oder „Es ist zu anstrengend daran zu denken, wenn ich spreche“. So klingen also die Top-drei-Argumente gegen gendergerechte Sprache. Sind das wirklich Argumente oder Ausreden? Und jetzt mal ehrlich: Ist es etwa zu anstrengend, nachzudenken? Ich für meinen Teil halte es für mehr als angebracht, eine Sekunde beim Tippen zu investieren, finde es durchaus möglich, auch, während ich spreche, nachzudenken und empfinde ein ein Millimeter großes Satzzeichen nicht als zu großen Aufwand. Vor allem nicht, wenn es bedeutet, dass ich die Lebensrealität jedes anderen Menschen anerkenne und für wertvoll genug halte, einen eigenen sprachlichen Ausdruck dafür zu finden. Wir sind doch eigentlich so weit, dass es möglich sein sollte, Gleichberechtigung für alle auf allen Ebenen einzufordern und für uns selbst sowie unsere Mitmenschen öffentliche Repräsentation zu verlangen. Es stimmt, Gendern ist unangenehm. Es zeigt, wie wenig Akzeptanz in unserer Gesellschaft für unkonventionelle Geschlechtervorstellungen vorhanden ist. „Dass Frauen und diese Transmenschen jetzt wählen gehen, okay – aber in meine geliebte Alltagssprache kommen die mir nicht rein!“, oder was? Gleichberechtigung ist noch längst nicht in allen Bereichen unserer Gesellschaft selbstverständlich und darauf sogar beim Sprechen hinzuweisen, führt zu Peinlichkeiten und Widerstand. Aber es ist nun mal grausam, wie viele Menschen in verschiedenen Diskursen systematisch ausgegrenzt und als nicht-existent abgetan werden. Darauf kann nicht genug hinweisen werden. Die übergeordnete Idee des gendergerechten Sprechens ist, sich gegenseitig mit einzuschließen. In der Sprache, im Denken, im gesellschaftlichen Leben. Am Anfang war das Wort, oder nicht?