Der „March for Science“ ist ein relativ junges Event. Die ersten Demonstrationsmärsche für die Wissenschaft formierten sich letztes Jahr als Reaktion auf wissenschaftsfeindliche Äußerungen und Maßnahmen der US-Regierung unter Präsident Trump. Unter dem Motto „Science not Silence“ antworteten Wissenschaftler weltweit auf die Verleumdung von Forschungsergebnissen zum Klimawandel durch das Weiße Haus und setzten so ein Zeichen gegen die Zensur von unliebsamen Forschungsergebnissen, die Verbreitung von sogenannten „Alternativen Fakten“ und die Behinderung freier Forschung.
Doch wie konnte es überhaupt dazu kommen, dass die Wissenschaft für sich und ihre Bedeutung für die Gesellschaft werben, sich gar verteidigen muss?
Das Internet ist für die Wissenschaft wohl Segen und Fluch zugleich. Es bietet Wissenschaftlern zwar die Möglichkeit, sich leichter zu vernetzen und Wissen auszutauschen, allerdings werden wissenschaftliche Erkenntnisse hier teilweise auch zu einer Meinung neben vielen degradiert. Wenn dann auch noch Staatsoberhäupter Ergebnisse langjähriger Forschung anzweifeln, nimmt der Stellenwert dieser Erkenntnisse im öffentlichen Bewusstesein immer mehr ab.
Auch jahrelange Mängel in der Kommunikation mit der Öffentlichkeit führten dazu, dass die Wissenschaft immer weniger als Teil des Alltags wahrgenommen wurde. Hinzu kommen Negativschlagzeilen und selbstverschuldete Imageschädigungen: Zweifelhafte, durch die Industrie finanzierte Untersuchungen wie zum Beispiel im Rahmen des Diesel-Skandals und die Häufig von Plagiatsvorwürfen stellen die Vertrauenswürdigkeit der Wissenschaft in Frage. Im Jahr 2014 trafen auch die WWU mehrere Plagiatsvorwürfe. Dies führte dazu, dass 2017 acht Doktoranden der medizinischen Fakultät tatsächlich der Doktortitel aberkannt wurde. Auf die Frage, warum die Öffentlichkeit trotz alledem in die Wissenschaft vertrauen sollte, antwortet Norbert Robers, Pressesprecher der WWU: „Auch die Wissenschaft bzw. die Wissenschaftler müssen sich immer wieder kritischen Fragen stellen. Das ist nicht neu. Im Gegenteil: Zweifel und kontinuierliches Weiterforschen gehören zum Wissenschaftssystem.“ Durch die harte Sanktionierung der Plagiatoren habe man gezeigt, dass die WWU im Falle wissenschaftlichen Fehlverhaltens gewillt sei, Konsequenzen zu ziehen.
Der „March for Science” soll nun wieder die tatsächliche Bedeutung der Wissenschaft hervorheben. „Wir erhoffen uns maximal viel Aufmerksamkeit für unser Anliegen: Auf den Wert wissenschaftlicher Arbeit hinzuweisen – ein Wert, von dem nicht nur alle Wissenschaftler, sondern die Gesellschaft insgesamt profitiert. Jeder Versuch, Wissenschaft zu beeinflussen, zu bagatellisieren oder für eigene Zwecke zu vereinnahmen, ist ein Angriff auf die Demokratie.“, sagte Robers noch vor der Demo.
Eigentlich war der 14. April in Münster der perfekte Tag für dieses Anliegen. Dank des guten Wetters war die Innenstadt gefüllt mit Touristen und Passanten in Schlenderlaune. Ideale Bedingungen also, um auch Menschen außerhalb der Vorlesungssäle zu erreichen. Das Publikum vor dem kleinen Truck, in dem Vertreter der Wissenschaft, unter denen auch Ute von Lojewski, Präsidentin der FH Münster, und Michael Quante, Mitglied des WWU-Rektorats, unter der Moderation von Norbert Robers diskutierten, bestand trotzdem fast überwiegend aus Personen im Studierendenalter. Nur wenige Passanten blieben stehen, um der Diskussion einige Minuten zu folgen. Das lag sicher nicht an der Gestaltung der Kundgebung, denn diese überzeugte mit einer geleiteten Diskussion und spannenden Inhalten, sondern vielmehr an einem banalen Umstand: Wer die „March for Science“-Bewegung nicht kannte, hatte aufgrund der geringen Anzahl an Plakaten, Bannern oder Hinweisschildern kaum eine Möglichkeit zu erkennen, wofür hier eigentlich demonstriert wurde.
Und dabei hätten der March und die Kundgebung mehr Aufmerksamkeit verdient.
Gerade jetzt, wo Populisten sich zunehmend steigender Aufmerksamkeit erfreuen, sind auf standardisierter Forschung basierende, überprüfbar Fakten ein verlässlicher Orientierungspunkt im Diskussions- und Meinungschaos. Während der Kundgebung wurde daher betont, dass auch Demokratie nur funktionieren könne, wenn Regierungsentscheidungen und Wahlentscheidungen auf zuverlässigen und überprüfbaren Forschungsergebnissen basieren. Darüber hinaus wurde angeführt, dass im Endeffekt jeder von neuen Forschungsergebnissen profitiert, da diese im Endeffekt schließlich auch der breiten Öffentlichkeit, beispielsweise in Form von zuverlässigen Navigationssysteme, zu Gute kommen.
Die Wissenschaft dürfe aber auch nicht in einem Elfenbeinturm leben, sondern müsse in einem fortwährenden Kommunikationsprozess die Bedürfnisse der Gesellschaft ergründen und ihre Forschung an diesen ausrichten. Wissenschaft dürfe kein Selbstzweck sein, sondern müsse zu einem Mehrwert für die Gesellschaft führen. Es sei daher die Pflicht eines jeden Wissenschaftlers und Studenten, stets zu reflektieren, wie die eigenen Forschung zur Bewältigung der aktuellen gesellschaftlichen Probleme beitragen kann.
Eine knapp zweistündige Veranstaltung pro Jahr reicht freilich nicht, um mehr Aufmerksamkeit und Bewusstsein für diese Anliegen zu schaffen. Daher versucht die WWU über viele Kanäle, universitäres Wissen in der Öffentlichkeit publik zu machen. Neben regelmäßigen Vorträge, Studienprogramme für jung und alt sowie allgemeine Öffentlichkeitsarbeit will die WWU auch durch die Lehrerbildung zu einem besseren Austausch führen.”Gerade auf diesem Feld hat die WWU, an der jeder vierte Student auf Lehramt studiert, eine besondere Verpflichtung, die wir gerne annehmen.“
Der „March for Science” ist sicherlich ein guter Weg, um die Wissenschaft aus den Laboren und Bibliotheken auf die Straße und in das öffentliche Bewusstsein zu bringen. Ein einziges Ereignis im Jahr reicht jedoch nicht, um dieses Ziel zu erreichen. Vielmehr bedarf es kontinuierlicher Arbeit. Die WWU geht hier mit gutem Beispiel voran, doch auch wir Studierende können bei Gesprächen mit Personen, die nicht im universitären Alltag stecken, zu mehr Verständnis auf beiden Seiten und so zu einem nachhaltigen Schutz freien Forschens beitragen. Am Ende der Kundgebung lud Robers die Zuhörer zu dem kommendem „March for Science“ im Jahr 2019 ein. Hoffentlich machen die Demonstranten dann auch optisch auffälliger auf sich und ihr Anliegen aufmerksam, damit ihr Anliegen mehr Leute erreicht.