„Dann müssen wir uns eben selbst groß rausbringen!“

„Da fehlt noch ein Wort“ berichtigt mich Melissa, eine Bossin des Labels Ladies&Ladys, „das erste offiziell sexistische Musiklabel der Welt!“

Ich treffe die Bossinnen des Ladies&Ladys-Label an einem überraschend warmen Sonntag in Münster. Die Bossinnen, das sind Melissa, Johanna B., Daphne, die gleichzeitig als Kamerafrau des Labels agiert, und auch Paula, die leider nicht dabei sein kann. Auch Johanna K. ist mitgekommen, die als Gespann mit Melissa die Band Wenn Einer Lügt Dann Wir bildet. Ihre Entscheidung, ein Label zu gründen, ist aus eigenen Erfahrungen in der Musikindustrie entstanden. Melissa und Johanna K. haben als Musikerinnen ständig erfahren, dass nicht-männlich zu sein in dem Business immer noch etwas Außergewöhnliches ist. Angebote für eine Zusammenarbeit sprachen ihnen Männer nach Konzerten mit Bierfahnen aus, mehr Flirtversuch als Vertragsverhandlung. Ernsthafte Kooperationen haben sich daraus nie ergeben, jetzt unterstützen sie sich eben selber, mit dem eigenen Label. Bei Ladies&Ladys sind daher alle Führungspositionen an Frauen* vergeben. In ihren Promovideos geht es um inkompetente Männer in Chefetagen, mit dem Hashtag #SexismSells verkaufen sie ihre T-Shirts, in der Öffentlichkeit reden sie darüber, was alles schief läuft in der Popmusik. Sie arbeiten dabei ohne Kapital, ohne jahrelange Erfahrung, produzieren alles in Eigenregie. Ihre Vision: Ladies auf die Bühnen, Ladies an die Tontechnik, Ladies in die Chefsessel. Das Label bewegt sich zwischen Riot, Kunstprojekt und Firmengründung. Es ist all das gleichzeitig.

Kurze Bestandsaufnahme: Was läuft schief in der Musikindustrie?

Das Musikbusiness ist immer noch ein Herrenclub, nur in coolen Outfits. Dabei sind die Studierenden an den Musikhochschulen laut musicHHwomen zu über 50 % weiblich. Aber wo verschwinden sie nach dem Studium? Am Institut für Musikwissenschaft in Münster sind laut Homepage alle Professuren männlich besetzt. Unter den Mitarbeiter*innen mit Lehrauftrag gibt es nur eine einzige Doktorin. An den Opern in Hamburg, München, Berlin und Dresden sind nur  Intendanten und Musikdirektoren beschäftigt. An der bayrischen Staatsoper treten doppelt so viele Solisten wie Solistinnen auf. Gerade mal an 11 % aller Songs aus den Charts zwischen 2001 und 2015 waren Komponistinnen beteiligt. Nur 8 % Prozent Frauen* spielen auf Festivals, selten bis nie als Headliner. Preise erhalten Frauen* schon deshalb selten, weil sie selten nominiert werden. Und auch Kanonbildung durch den Musikjournalismus schließt Künstlerinnen entweder komplett aus oder ordnet sie nach Stereotypen. Der Musikexpress zum Beispiel kürte im vergangenen November die 50 besten Punk-Platten, darunter nur zwei, an denen Frauen beteiligt waren. Es lassen sich noch unendlich mehr Zahlen, Statistiken und Verhältnismäßigkeiten aufzählen und untersuchen, alle mit demselben Ergebnis: Frauen* sind unterrepräsentiert, Männer dominieren in allen Bereichen der Industrie.

Ein Gegengewicht bilden

Dass mangelnde Repräsentation ein großes Problem ist, stellen auch die Ladies&Ladys-Bossinnen fest. Das fängt schon im lokalen Raum an, erzählt Johanna K.: „Im engeren Umkreis sind alles Jungsbands. Wenn ich aufs Dorffest gegangen bin und hab da Schülerbands gesehen, dann waren das nur Jungs. Die einzigen musikalischen Vorbilder, die ich so als Frau hätte haben können, waren dann Rihanna oder Katy Perry.“ Deshalb mangele es vielleicht an Selbstbewusstsein, erzählt Johanna B. „Wir haben voll oft Frauen* kennengelernt, die seit zehn Jahren irgendein Instrument spielen, es aber nicht auf der Bühne tun.“ Das Label will Unterstützung anbieten und Musikerinnen aufbauen.

Ein eigenes Label zu gründen, ist ein wahnsinniger Schritt: „Wir haben auch Seminare besucht, wo dann erklärt wird, was man alles machen muss, in welche Vereine man eintreten muss, um ein Musiklabel zu gründen. Aber es ist einfach nicht unser Ansatzpunkt zu sagen: Wir machen das jetzt genauso wie jedes andere Musiklabel. Es gibt andere Wege.“ In den großen Labels arbeiten nur knapp 5 % Frauen. In der Chefetage von Warner Music nach Frauen zu  suchen, ist ungefähr so sinnvoll, wie an einem Sonntag im Prüfungsamt anzurufen. Ladies&Ladys bilden ein Gegengewicht zur Machtverteilung, indem sie Frauen* einstellen und unterstützen. Ihre Selbstbezeichnung als „erstes offiziell sexistisches Musiklabel der Welt“ fordert die Branche heraus, sich selbst zu reflektieren. „Wenn nur die einen sexistisch sein können, wo bleibt dann die Gleichberechtigung? Kann Sexismus Kunst sein? Wir sagen ganz klar: Jein! Denn wer sind wir, eine Frage zu beantworten, auf die es noch keine Antwort gibt? Ladies&Ladys ist ein künstlerisches Experiment, das sich mit dem Thema Sexismus in der Musikindustrie auseinandersetzt, mit dem Versuch eine Antwort zu geben“, heißt es beim Label. Sie machen es jetzt also offiziell und diskriminieren die Diskriminierung.

Ihnen geht es nicht darum, pauschale Vorwürfe zu formulieren oder jemanden auszuschließen (es ist auch nicht zwingend eine Vulva nötig, um bei ihnen zu arbeiten), sondern darum, auf die Missstände hinzuweisen. „Ladies&Ladys ist ein Zusammenschluss von Menschen, die die Musikindustrie und die Welt als Bühne dessen verändern wollen.“ Wer helfen möchte, ist bei ihnen willkommen, wer Hilfe braucht, soll sie auch kriegen: „Wir bieten jedem Menschen die Möglichkeit, sich uns anzuschließen und gemeinsam dieses Projekt zu gestalten.“ Die Musikbranche hat ein Problem mit der Geschlechtergerechtigkeit, Ladies&Ladys schauen sich das nicht länger an. Sie arbeiten jetzt an vielen Baustellen, dazu gehört das Bekanntmachen des Labels. Sie organisieren Konzerte und Partys mit Ladies im Line Up. Auch dabei ist es ihnen wichtig klarzumachen, dass niemand ausgeschlossen wird. Ladies, das bedeutet für sie mehr als die binärgeschlechtlichen, sozialen Konstrukte „der Mann“ und „die Frau“ (daher heißt es in diesem Artikel z. B. Frauen*). Auch bei politischen Veranstaltungen und Vorträgen werden sie in Zukunft vertreten sein. Ansonsten stehen Videodrehs, Crowdfunding und Jamsessions an, bei denen sie einen Raum bieten sich auszuprobieren. Und natürlich bringen sie demnächst die Band Wenn Einer Lügt Dann Wir groß raus und werden dann weitere Bands und Musiker*innen unterstützen. Aber eben nicht, wie es alle anderen Labels machen. Sondern wie Ladies&Ladys.

Was können wir noch machen?

Wer kein Label gründen kann, kann andere Maßnahmen ergreifen, um selbst gegen die Benachteiligung von Künstlerinnen vorzugehen. Zum Beispiel bewusst mit dem Thema umgehen. Kann ich für die nächste Party eine weibliche DJ vorschlagen? Oder die Girlbands in meiner Umgebung unterstützen? Außerdem gilt: Each One Teach One. Zum Beispiel an den Decks, am Instrument oder in der Tontechnik. Gemeinden und Schulen sind gefragt, Proberäume und Equipment zur Verfügung zu stellen und Fördermittel zugänglich zu machen. Mädchenbandworkshops bieten zum Beispiel die Möglichkeit, neue Musik- und Sozialräume für sich erschließen. Im Musikstudium müssten Geschlechterungleichheiten zum Thema gemacht werden. So würde man die Studierenden sensibilisieren und für einen offeneren Umgang mit struktureller Benachteiligung sorgen. Für den nächsten Festivalsommer kann man nur auf Line-ups hoffen, in denen auch Künstlerinnen vertreten sind. Und wenn nicht, dann die Veranstalter*innen darauf hinweisen. Die Energie der Label-Bossinnen ist ansteckend, hoffentlich tut sich was in der Musikbranche.  

Mehr Infos zu Ladies&Ladys: www.ladiesundladys.de

Riot RrradioDas ganze Interview mit den Labelbossinnen lief im Riot Rrradio. Das Riot Rrradio ist ein Projekt des autonomen Frauen*referates und des Öffentlichkeitsreferates des AstA und läuft einmal im Monat auf Antenne Münster. Die Folge nachhören kann man auf der Medienplattform: beta.nrwision.de 

 

Anm. d. Red.: Die Redaktion versucht eine möglichst Geschlechter-gerechte Wortwahl zu finden,gendert aber nicht. In speziellen Fällen und auf Wunsch der Interviewpartner kommen wir dem aber immer gerne nach! 

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