Die Dänin Tove Ditlevsen schreibt Kurzgeschichten über weibliche Alltagstragik, die in ihrer Kürze dichter nicht sein könnten
Eine Frau, deren depressiver Mann sich mehr für Psychoanalyse als für ihre Schwangerschaft interessiert. Eine Frau, die provoziert wird von der Jugendlichkeit und Attraktivität ihres Kindermädchens. Eine Frau, die zum Friseur geht und einen seelischen Zusammenbruch erleidet. Eine Frau, die sich in obsessiven Sehnsüchten nach einem gelben Regenschirm verliert. Eine Frau, eine Frau, eine Frau – fast jede der Kurzgeschichten der dänischen Autorin Tove Ditlevsen (1917-1976) beginnt mit leisen, grauen Normalitäten im Leben von durchschnittlichen Frauen, eingeklemmt zwischen Partnerschaft und Alltagsbewältigung. Dieselben Gespräche wie immer, derselbe Morgen mit Kaffee und Zeitung wie am Tag zuvor. Doch eine Kleinigkeit ist anders, und sie verschiebt alles.
Brilliant stellt Ditlevsen im nun erstmals auf deutscher Sprache erschienenen Kurzgeschichtenband „Böses Glück“ diese Minimalverrückungen des Normalen dar. Das Absurde, Gruselige gebärt hier der Alltag, nicht das Fantastische. Eine klare, reduzierte Sprache und minimierte Personenkonstellationen rücken ein weibliches Innenleben in den Vordergrund, das an Banalitäten verzweifeln muss und das, was schon unendlich viele Tage vorher ertragen wurde, mit einem Mal nicht mehr akzeptieren kann. Daraus entsteht eine literarische Entdeckung: Weiblich perspektivierte Kurzgeschichten, die nichts explizieren, alles im Angedeuteten lassen und am Ende so tiefgehend nachwirken, dass nach dem Zuklappen des Bandes gelbe Regenschirme unheimlich bleiben.
Wahrheit und Wahrnehmung verschwimmen bei Ditlevsen, echte Schuld und Schuldzuschreibung auch. Das Verbleiben in der weiblichen Perspektive ohne höhere Deutungsinstanz führt zu einer Verweigerung von Eindeutigkeit und Endgültigkeit. Die Geschichten hören einfach auf, ohne dramatischen Knall, ohne Katharsis. Der Alltag der Figuren geht weiter, ihren Schmerz schleppen sie in den nächsten Alltagsmorgen mit frischem Kaffee und neuer Zeitung. Eine herausfordernde, hervorragende Lektüre, die unser Bedürfnis nach Frieden und Aussprache genauso oft provoziert wie enttäuscht.