„Europa ist noch nicht gerettet“

Wochenlang marschierten sie jeden Sonntag durch Münster, am 7. Mai fand die vorerst letzte wöchentliche Kundgebung statt – trotzdem bedeutet das noch lange nicht das Ende: Die Rede ist von der proeuropäischen Bewegung „Pulse of Europe“. Malte Steuber, selbst Jura- und Politikstudent der WWU und Mitorganisator der Bewegung, hat mit uns über seine persönliche Vorstellung von Europa, was ihn dazu bewegt, dafür auf die Straße zu gehen, und welche Impulse er in Zukunft setzen möchte, gesprochen.

SSP: Wie genau setzt sich das Team der Organisatoren in Münster zusammen?

MS: Wir sind in etwa zwölf Leute, die sich wöchentlich treffen, um die Kundgebungen zu planen. Am Tag selbst helfen uns aber auch immer wieder Freiwillige, die sich spontan melden. Schülerinnen und Schüler sind darunter ebenso vertreten wie Studierende und Berufstätige aller Altersstufen. Vor allem die unterschiedlichen Hintergründe der Leute im Team machen die Arbeit sehr lebendig und bereichernd.

SSP: Was war der entscheidende Moment, als für dich feststand: Jetzt möchte ich mich für Europa einsetzen“?

MS: Vor einigen Jahren habe ich im europäischen Ausland gelebt. Seitdem engagiere mich in verschiedenen Vereinen für den proeuropäischen Gedanken und eine Vision für mehr europäischen Zusammenhalt – ich habe mir dabei allerdings noch nie so viele Sorgen um unsere Zukunft in Europa gemacht wie aktuell. Antieuropäische Populisten und Regierungen, gravierende Fehlentwicklungen in manchen Politikfeldern und mangelnde Identifikation vieler Menschen mit der Europäischen Union stellen uns vor große Herausforderungen. Sicherlich läuft nicht alles optimal in der europäischen Politik und es besteht in vielen Dingen von Wirtschaftspolitik bis Asyl- sowie Migrationspolitik Verbesserungsbedarf. Aber ich glaube daran, dass wir nur mit europäischer Zusammenarbeit die aktuellen Schwierigkeiten bewältigen und Errungenschaften wie Reisefreiheit oder Frieden sichern können.

SSP: Und wie kamst du dann zu Pulse of Europe?

MS: Am Tag der großen AfD-Gegendemonstration in Münster hörte ich vom Start von „Pulse of Europe“ in Frankfurt und dachte mir, dass wir neben Kritik an antieuropäischen Populisten genau das dringend brauchen: Ein sichtbares, positives Signal für die europäische Idee auf der Straße und zwar, anders als beim Brexit, bevor es zu spät ist. Ich glaube, gemeinsame europäische Politik hat nur eine Zukunft, wenn sich wieder mehr Menschen mit ihr identifizieren und in ihr einen Teil der Lösung, anstatt einen Teil des Problems sehen. Neben fundierter inhaltlicher Kritik möchte ich den antieuropäischen Populisten etwas Emotionales entgegensetzen, dabei aber trotzdem positiv und konstruktiv bleiben.

SSP: Was stellt für dich den europäischen Gedanken in drei Stichpunkten dar?

MS: Völkerverständigung, Einheit und Zusammenarbeit in Vielfalt und Zukunftsorientierung.

„Alle Menschen werden Brüder“ – Impressionen aus einer Demonstration auf dem Prinzipalmarkt. (Foto: Johannes Keil)

SSP: Wie wird die Bürgerinitiative in deinen Augen wahrgenommen?

MS: Der emotionale und überparteiliche Ansatz von „Pulse of Europe“ wurde sehr gut aufgenommen. Es kamen häufig Teilnehmende der Demonstrationen zu uns und haben sich bedankt, dass es die Möglichkeit gebe, den europäischen Spirit positiv auszuleben. Kritik, die ja auch gut und wichtig ist, gab es insbesondere daran, dass „Pulse of Europe“ zu wenig inhaltliche Kante zeige. Das ist sicherlich richtig – allerdings will „Pulse of Europe“ gerade eine Plattform sein, um Menschen mit unterschiedlichen politischen Vorstellungen in erster Linie emotional für Europa zu begeistern. Aus meiner Sicht ist das auch immens wichtig sowie eine notwendige Bedingung und kein Hindernis dafür, die inhaltlichen Probleme europäischer Politik anzupacken.

SSP: Wie können sich Studierende, die für europäisches Denken und europäische Werte eintreten wollen, noch dafür einsetzen?

MS: Man kann natürlich jederzeit Demonstrationen, Diskussions- und Informationsveranstaltungen organisieren oder sich den Vereinen beziehungsweise Hochschulgruppen anschließen, die sich für Europa stark machen. Das kostet zwar Zeit und ist manchmal anstrengend, aber es ist oft weniger verbindlich, als man denkt und am Ende immer bereichernd. Ich finde es aber mindestens genauso wertvoll, einfach im Gespräch mit anderen Leuten europäische Errungenschaften zu verteidigen. Ebenso können kleine solidarische Zeichen gesetzt werden, indem man beispielsweise eine Online-Petition unterschreibt oder die Nachrichten über andere europäische Länder verfolgt.

SSP: Und warum ist gerade jetzt der richtige Zeitpunkt dafür?

MS: Ich glaube, dass gerade unsere Generation jetzt aufstehen und aufwachen muss, um zu verhindern, dass uns politische Zusammenarbeit sowie das friedliche und tolerante Zusammenleben auf unserem Kontinent von antieuropäischen Populisten oder teils egoistisch-nationalistisch agierenden Regierungen weggenommen werden. Der Brexit hat gezeigt, wie schnell nahezu unumkehrbare Entscheidungen getroffen werden, bei denen man sich nachher fragt, wie das passieren konnte. Deshalb müssen wir vorher aktiv werden und unsere Zukunft selbst in die Hand nehmen. Frieden, Demokratie und europäische Integration sind keine Selbstläufer, sondern müssen mehr denn je mit Leben gefüllt werden.

SSP: Welche Ziele verfolgt Pulse of Europe für die Zukunft?

MS: Am 7. Mai fand unsere letzte sonntägliche Kundgebung statt – das heißt aber nicht, dass wir bereits ans Aufhören denken. Ab Juni wird es jeweils am ersten Sonntag des Monats eine Veranstaltung von „Pulse of Europe“ in Münster geben. Wir wollen abwechslungsreich bleiben und planen auch andere Formate als reine Kundgebungen, beispielsweise eine grenzüberschreitende Fahrradtour von Münster nach Enschede. Europa ist noch nicht gerettet, deshalb müssen und wollen wir weiter dafür arbeiten, dass der proeuropäische Gedanke in allen Bevölkerungsgruppen nachhaltig verankert wird und sich Menschen für europäische Politik interessieren. „Pulse of Europe“ insgesamt muss zudem selbst noch europäischer werden: Momentan wird es – zu Recht – als deutsche Bewegung wahrgenommen, was nicht der richtige Weg für mehr proeuropäische Stimmung in vielen anderen Ländern wie Polen, Frankreich oder Bulgarien sein kann.

Schreibe einen Kommentar