Free Assange!

„Der Fall Julian Assange ist kein juristischer Prozess, sondern ein politischer! Wenn es politisch gewollt wäre, wäre Julian morgen ein freier Mann!“ Mit diesen Worten brachte Julian Assanges Anwältin und Ehefrau, Stella Assange, im Dezember 2022 im Münsteraner Cinema den Fall des wohl bekanntesten politischen Gefangenen, Julian Assange, auf den Punkt. An einem vorweihnachtlichen Samstagabend befanden sich Stella Assange, der Produzent Adrian Devant sowie ein weiterer Aktivist und Weggefährte Assanges im Rahmen ihrer Europa-Tour mit dem Film „Ithaka – A Fight to Free Julian Assange“, einer Dokumentation über Assange aus der Sicht seines Vaters, zu einer gut besuchten Filmvorführung mit anschließendem Podiumsgespräch in Münster. Weihnachtlich-besinnlich verließ am Ende des Abends allerdings niemand den Saal – zu viel Verzweiflung und Wut löste der Fall Assange beim Publikum aus.

Julian Assange ist ein australischer Investigativjournalist, Programmierer und Gründer der 2006 gelaunchten Enthüllungsplattform „Wikileaks“, der sich zum jetzigen Zeitpunkt im britischen Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh nahe London befindet, wo er auf seine Auslieferung in die USA wartet. Ihm wird von den Vereinigten Staaten unter anderem vorgeworfen, Spionage betrieben zu haben. Im Falle einer Auslieferung erwarten ihn dort 175 Jahre Haft. 

Im April 2010 sorgte WikiLeaks für große Schlagzeilen. Auf der Plattform veröffentlichte Assange mit Hilfe der Whistleblowerin und IT-Spezialistin Chelsea Manning ein Video mit dem Namen „Collateral Murder“, das ein US-amerikanisches Kriegsverbrechen im Irak aus dem Jahr 2007 zeigt. In dem Video sieht man, aus dem Cockpit heraus aufgenommen, zwei Kampfhubschrauberpiloten tagsüber auf wehrlose Zivilisten in Bagdad schießen, dabei hört man das Lachen der Piloten. Unter den zehn Opfern befanden sich Kinder, Erwachsene, Sanitäter sowie die beiden Reuters-Journalisten Namir Noor-Eldeen und Saeed Chmagh. Kurz darauf veröffentlicht Assange in Zusammenarbeit mit dem deutschen Spiegel zusätzliche geheime Militärdokumente, die sogenannten Irak-Tagebücher, die weitere Kriegsverbrechen der USA im Irak belegen. Die Welt ist schockiert, WikiLeaks bekannt und Assange nicht mehr lange ein freier Mann.

Im August 2010 erhebt die schwedische Justiz Vergewaltigungsvorwürfe gegen Assange, die er vehement bestreitet. Durch einen schwedischen Haftbefehl wird Assange festgenommen und seine Auslieferung nach Schweden verhandelt. Assange befürchtet von dort aus seine Auslieferung in die USA, und wehrt sich vor dem britischen Supreme Court. 2012 gibt dieser der Auslieferung statt, so dass Assange in letzter Minute in die ecuadorianische Botschaft in London flieht, wo ihm politisches Asyl und 2018 sogar die ecuadorianische Staatsbürgerschaft gewährt werden. Dort wird er sieben Jahre verbringen. 

2017 lässt Schweden zwar alle Vorwürfe fallen, doch trotzdem kann er die Botschaft nicht verlassen, da die britische Justiz ihm mit seiner Flucht in die ecuadorianische Botschaft einen Verstoß gegen seine Kautionsauflagen vorwirft, und ihn bei Verlassen festnehmen würde. 

Im April 2019 hebt Ecuador das politische Asyl und seine Staatsbürgerschaft auf. Kurz zuvor hatte WikiLeaks über Korruptionsermittlungen gegen den aktuellen Präsidenten Moreno berichtet. Der damals 47-jährige Assange wird von der britischen Polizei festgenommen, die Bilder gehen um die Welt. Die britische Justiz verurteilt ihn zu einer Gefängnisstrafe von einem Jahr, weil er mit seiner Flucht gegen die Bewährungsauflagen verstoßen hat. Bis heute wird Assange seit Absitzen dieser Strafe aufgrund von Fluchtgefahr im Auslieferungsprozess gefangen gehalten, denn während die Obama-Regierung noch auf einen Auslieferungsantrag verzichtete, wendet sich das Blatt mit Donald Trump. Dieser beantragt bereits eine Stunde nach Assanges Verhaftung dessen Auslieferung, die zwar schon 2017 entworfen, aber bis dato geheim gehalten wurde. Im Mai 2019 verschärfen die USA ihre Anklage. Assange wird jetzt nicht mehr nur eine gemeinschaftliche Verschwörung mit Chelsea Manning vorgeworfen, die mit fünf Jahren Haft belegt ist, sondern auch die Offenlegung von Geheimdienstquellen, strafbar unter dem 1917 verabschiedeten Espionage Act, belegt mit 170 Jahren Haft. Insgesamt drohen ihm jetzt also 175 Jahre. Im Juni 2019 lässt der britische Innenminister Sajid Javid das Auslieferungsgesuch zu. Die Entscheidung über die Auslieferung klärt fortan ein Gericht.  

Assange sitzt seit dem Verlassen der ecuadorianischen Botschaft im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh. Ohne Zugang zum Internet und einem nahezu vollständigen Besuchsverbot hat Assange keine Möglichkeit, sich auf seine Verteidigung gegen den Auslieferungsantrag vorzubereiten. Im Zuge der Corona-Pandemie wird sein Kontakt zur Außenwelt noch weiter eingeschränkt. Sein physischer und psychischer Gesundheitszustand verschlechtert sich so stark, dass ein Psychiater vor Gericht seine akute Suizidgefährdung attestiert. Aus diesem Grund wird im Januar 2021 die Auslieferung in die USA von einem britischen Gericht abgelehnt. Man müsse damit rechnen, dass Assange sich in amerikanischer Isolationshaft das Leben nehmen werde. 

Der während der britischen Auslieferungsverhandlungen erfolgte Regierungswechsel in den USA führte nicht zum Fall der Anklage gegen Assange. Die Biden-Regierung beharrt auf der Auslieferung und legt Einspruch gegen die Entscheidung des britischen Gerichts ein, Assange aufgrund seines labilen Zustands nicht auszuliefern. Im Dezember 2021 billigt das britische Berufungsgericht dann trotz seiner instabilen Verfassung seine Auslieferung an die USA, deren Antrag die konservative britische Innenministerin Priti Patel im Juni 2022 unterschrieb. Assanges Verteidigung beantragte eine Berufung, welche im Juni 2023 abgelehnt wurde. Seine rechtlichen Möglichkeiten in Großbritannien sind damit so gut wie ausgeschöpft. Die Gefahr einer Auslieferung ist also so real wie nie, jeden Augenblick könnte seine Auslieferung stattfinden.

Auch wenn jahrelange Prozesse, ein endloses Pingpong-Spiel zwischen Anklage und Berufung, in das zahlreiche Staaten verwickelt sind, den Fall wie ein großes rechtliches Problem, dessen Ende irgendwann durch rechtsstaatliche Prinzipien systematisch entschieden wird, wirken lassen, ist dies ein hartnäckiger Angriff auf die Pressefreiheit und somit ein politischer Fall. Assange veröffentlichte Videos und Informationen, die in einem demokratischen Staat ohnehin öffentlich verfügbar sein müssten, um die Regierung und den Staat demokratisch kontrollieren zu können. Wie können Bürger:innen ihre Volksvertreter:innen für ihre Politik abwählen, wenn sie nicht wissen, was diese tun, nicht nur, aber vor allem militärisch und im Krieg? Im Falle der USA enthüllte Assange krasse Kriegsverbrechen. Die Veröffentlichung weiterer Kriegsverbrechen wollen die USA verhindern, und begehen mit ihrer Spionage-Anklage einen undemokratischen Angriff auf die Pressefreiheit und den investigativen Journalismus. Dabei sind die USA leider nicht der einzige Staat, der es auf Reporter und Journalist:innen abgesehen hat. 

Um die Pressefreiheit und die Unversehrtheit von Journalist:innen ist es heute in vielen Ländern schlecht gestellt. Die NGO Reporter ohne Grenzen bestätigt, dass die Pressefreiheit in China, Afghanistan und im Iran dramatisch unterdrückt wird. Auch in den palästinensischen Gebieten und im Jemen wurden 2021 jeweils über 150 Journalist:innen getötet und verletzt. Spätestens seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine ist eine freie Berichterstattung auch in Russland und Weißrussland nahezu unmöglich geworden. Außerdem berichtet Reporter ohne Grenzen, dass selbst in Deutschland die Pressefreiheit abgenommen hat. Der Abstieg von Rang 13 (2020) auf Rang 16 (2021) und schließlich auf Rang 21 (2023) wird besonders mit der zunehmenden Gewalt von Demonstrant:innen auf Journalist:innen begründet. Dabei ereigneten sich 52 von 80 im Jahr 2021 registrierten Angriffen auf Journalist:innen auf Demonstrationen der Querdenker-Bewegung. Das Klima für (Investigativ-)Journalist:innen verschlechtert sich weiter und stellt somit ein großes Risiko für Whistleblower:innen dar. 

So ist Julian Assange nämlich nicht der einzige Whistleblower, der von staatlicher Seite verfolgt wird. Im September 2022 ließ sich Edward Snowden, der im Sommer 2013 die NSA-Affäre aufdeckte, in Russland einbürgern, um vor der amerikanischen Justiz sicher zu sein. Snowden, selbst einstiges Mitglied der NSA, enthüllte umfassende Überwachungspraktiken und Spionagetätigkeiten des amerikanischen und britischen Geheimdienstes an Politikern anderer Nationen. Geflohen ist er nach zahlreichen abgelehnten Asylanträgen in anderen Ländern ausgerechnet in das Land, das seine eigenen Journalist:innen und Menschenrechtsaktivist:innen verschleppt, vergiftet und einsperrt, wie beispielsweise den russischen Dissidenten und Oppositionellen Alexei Nawalny. 

Durch die Verfolgung Assanges statuieren die USA ein Exempel. Die gnadenlose Verfolgung von Whistleblower:innen, schreibt der UN-Sonderberichterstatter für Folter, Nils Melzer, geschieht, weil sich „reformunwillige Regierungen vor nichts mehr fürchten als vor jener Transparenz, wie sie ihnen durch WikiLeaks droht“. Durch die Veröffentlichung schmutziger Staatsgeheimnisse und Kriegsverbrechen drohten die Mächtigen, ihre Straflosigkeit zu verlieren, so Melzer. Abschreckung sei die Devise der Mächtigen, um „ein zweites, drittes, hundertstes Wikileaks zu verhindern“. Und was tut Großbritannien? Es hilft mit. Das Land, das vor nicht allzu langer Zeit die EU verlassen hat, und es sich daher keinesfalls mit den Amerikanern verscherzen möchte, begeht und unterstützt fleißig Menschenrechtsverletzungen im Kampf gegen Julian Assange, sowohl in der venezolanischen Botschaft in London als auch in Belmarsh. In der Botschaft wurde Assange ausspioniert und überwacht, in Belmarsh sitzt er in Isolationshaft, ohne dass die britische Justiz einen Vorwurf gegen ihn erhebt. 

Wie verhält sich Deutschland mit Blick auf den Fall Assange? Auffällig ist hier das Verhalten der Außenministerin. Während Annalena Baerbock noch im Wahlkampf für die Bundestagswahl 2021 die Freilassung Assanges forderte, beschwört sie als Außenministerin ostentativ die Rechtsstaatlichkeit des britischen Verfahrens. Es scheint, als seien der Außenministerin wirtschaftliche und (geo-)politische Ziele wichtiger als die Freilassung eines zu Unrecht inhaftierten Journalisten. Ist das diese wertegeleitete Außenpolitik, von der alle reden?

Julian Assange muss sofort freigelassen werden! Auch wenn sein Fall unter der Fülle politischer Nachrichten und Probleme unterzugehen droht, dürfen wir nicht vergessen, von Politikern ihren Einsatz für Assanges Freilassung zu fordern. Die Pressefreiheit steht auf dem Spiel. Sollte Assange an die USA ausgeliefert werden und dort zu 175 Jahren Haft verurteilt werden, wäre dies ein herber Rückschlag für alle investigativen Journalist:innen, die täglich für mehr Transparenz staatlichen Handelns kämpfen. Verbrechen aufzudecken und Informationen der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, darf kein Verbrechen sein. Free Assange! 
Weitere Infos zum Film und wie Du aktiv werden kannst, findest Du unter https://ithaka.movie/ .

Autorin: Alexandra Göller