In Chicago wagte der ehemalige US-Präsident Barack Obama seine ersten Schritte auf dem politischen Parkett. Heute geben zwar die Republikaner im Land den Takt vor, Chicago ist aber weiterhin eine Hochburg der Demokraten. An der dritten Station ihrer Reise durch die USA spricht unsere Autorin Janna für unsere Serie „SSP asks USA“ mit Joseph über seine Zukunftsaussichten für die USA.
Die „Windy City“ Amerikas hat mit knapp drei Millionen Einwohnern ungefähr genauso viele wie der gesamte Staat Iowa. In Chicago wurden zum Ende des 19. Jahrhunderts die ersten Bahnschienen verlegt und der erste Skyscraper gebaut. Sie ist außerdem die Stadt Al Capones; Bandenkriege waren seit den 1920er-Jahren mitbestimmend für die Identität der Stadt. Bis heute ist die Kriminalitätsrate in Chicago überdurchschnittlich hoch, was dem Besucher durch vermehrtes Sicherheitspersonal und sogenannte „Emergency“-Stationen nicht verborgen bleibt.
Als Hauptstadt des Staates Illinois ist Chicago eine Hochburg der Demokraten. Seit neunzig Jahren gab es hier keine republikanischen Bürgermeister mehr. Hillary Clinton konnte die Wähler in Illinois für sich gewinnen und hatte gegenüber Donald Trump einen Vorsprung von knapp 15 Prozentpunkten. In Chicago begann zudem die politische Karriere Barack Obamas. Im Süden der Stadt arbeitete er ab Mitte der 1980er-Jahre für ein soziales Projekt und wurde später in den Senat von Illinois gewählt. Mit seiner Abschiedsrede als Präsident ist auch das Ende der Obama-Ära mit der Stadt Chicago verbunden.
Fast provokant wirkt vor diesem Hintergrund die Immensität des Trump Towers, der mitten in der Innenstadt direkt am Chicago River in die Höhe ragt.
Die Antworten auf meine Fragen habe ich diesmal von Joseph erhalten. Über eine Internetplattform hatten wir ein Zimmer in seiner Wohnung nahe der University of Chicago gemietet und wohnten genau in dem Viertel, in dem Obama vor zwanzig Jahren aktiv war. Joseph ist 26 Jahre alt, in Chicago geboren worden und aufgewachsen. Nach seinem Studium der Neurowissenschaften in Pittsburgh hat er für zwei Jahre als Freiwilliger im afrikanischen Sambia Entwicklungshilfe geleistet. Seit 2015 lebt er wieder in Chicago, zusammen mit seinem Freund Dan. An der University of Chicago absolviert er ein „medical training“, setzt also sein Studium fort.
Er beschreibt, dass es eine Zeit gab, in der er sehr zuversichtlich auf die Entwicklungen in den Vereinigten Staaten blickte. Er sah, wie Rassismus zwar nicht gänzlich verschwand, aber dennoch zurückging, wie Fehler der Vergangenheit behoben wurden und wie der Wert eines Menschen nicht von dessen Einkommen abhängig gemacht wurde. Die Wahl von Donald Trump zum Staatsoberhaupt seines Landes und damit womöglich zum mächtigsten Mann der Welt habe ihn auf den Boden der Tatsachen zurückgeworfen und diese Hoffnungen mehr oder weniger zunichte gemacht.
Sein genereller Wunsch für die nächsten vier Jahre ist, dass es weniger Kriege auf der Welt gibt und dass die Menschen die Menschenrechte derer anerkennen, deren Ansichten sie nicht vertreten. Er hofft, dass die Menschen aufwachen und ihre Handlungen nicht länger von Emotionen und feindlicher Gesinnung, sondern von Rationalität und ihrem Gewissen leiten lassen. Politische Entscheidungsträger sollen aufhören, eigene politische und finanzielle Interessen über Menschenleben zu stellen. Außerdem ist ihm die Gesundheitsversorgung ein Anliegen. Er wünscht sich, dass mehr Menschen versichert werden und dass eine Krankenversicherung nicht mehr nur denjenigen zugänglich ist, die es sich leisten können.
Seine realistische Erwartung für die nächsten vier Jahre ist, dass das System von „Checks und Balances“, die Gewaltenteilung, die die Demokratie des Landes seit dessen Gründung intakt hält, auch weiterhin funktioniert und den Schaden für die Vereinigten Staaten sowie die gesamte Welt so gering wie möglich hält.
In der Hoffnung, dass er Recht behält, fliegen wir weiter auf unserer Reise. Die Kälte lassen wir nun endlich hinter uns – es geht nach Dallas und Austin in Texas.
Lest Teil 2 unserer Serie „SSP asks USA“: More power to the individual – Iowa
Lest Teil 4 unserer Serie „SSP asks USA“: We care – Austin, Texas
[…] Lest Teil 3 unserer Serie „SSP asks USA“: Reason and concern instead of emotion and animosity – Chicago […]