Es gibt wohl kaum eine größere freiwillige Beschränkung des eigenen Besitzes, als das Leben in einer Wohnung gegen das in einem Van einzutauschen. Doch wie unterscheidet sich das von vielen Minimalisten gelebte und gepriesene Vanlife von dem normalen Alltag eines Studenten? Wie viel Freiheit und Unabhängigkeit bietet es tatsächlich und was tauscht man für diese Freiheit ein? Calvin Beck ist Student und lebt in einem Sprinter. Er hat uns Einblicke in das wahre Vanlife ohne Socialmedia-Filter gewährt.
SSP: Wie lange lebst du jetzt schon in einem Van?
Calvin: Seit zwei Jahren. Zuerst habe ich in einem Oldtimer von 1983 gewohnt. Während dieser Zeit habe ich gemerkt, was mir an dem Wagen gefällt und was verbessert werden könnte. Dann habe ich mir im letzten November einen Sprinter gekauft und in diesem Frühjahr angefangen, ihn nach meinen Vorstellungen auszubauen. Gerade ist das auch noch mehr eine Baustelle als ein fertiges Zuhause. Der Ausbau dauert einfach richtig lange. Der Van muss gedämmt und die Möbel müssen selbst gebaut werden, weil die Wände gewölbt sind.
SSP: Das klingt so, als wäre ein Vanlife nur etwas für handwerklich begabte Leute?
Calvin: Es kommt drauf an, was für einen Anspruch man hat. Theoretisch reichen schon ein paar festgezurrte IKEA-Regale. Das ist zwar unpraktisch, denn normale Möbel nehmen viel Platz weg und sind auch nicht sehr leicht, aber es geht. Ich kenne auch Leute, die einfach nur eine Matratze haben. Teilweise noch auf einem Podest, damit darunter ein bisschen Stauraum ist. Oder du kaufst einen fertigen Van. Der ist dann aber nicht an die eigenen Bedürfnisse angepasst. Mein erster Wagen war zum Beispiel ein klasse Campingmobil, aber für die Bedürfnisse des Alltags nicht wirklich geeignet. In einem Camper ist eben alles auf Urlaubsbedürfnisse abgestimmt.
SSP: Wie ist denn der Alltag in einem Van im Vergleich zu dem studentischen Leben in einer normalen Wohnung? Lernen, Kochen, Freunde einladen, das ist in einem Van doch sicher anders als in einer normalen Wohnung?
Calvin: In der Vorlesungszeit ist es wie bei jedem anderen Studenten auch. Ich stehe auf, baue das Bett zurück, frühstücke in meiner Küche, dann geht es in die Uni und abends komme ich wieder. Kochen ist überhaupt kein Problem. Ich kann hier kochen, wie in einem normalen Haus. In meinen neuen Wagen verbaue ich dazu einen Holz- und einen Ethanol-Ofen.
Abends bin ich oft beim Sport und gehe dort auch meistens duschen. Da treffe ich auch Freunde. Es ist aber auch kein Problem, Freunde einzuladen. Der Van ist groß genug. In meinem alten Wagen habe ich mit sieben Leuten gekocht. Das ist zwar kuschelig, aber geht.
SSP: Hast du das Gefühl, dass ein Leben im Van mehr Planung im Voraus bedarf als ein Leben in einer Wohnung?
Calvin: Auf jeden Fall. Ich habe den Bus vorher in einem 3D-Modell gebaut und alles vorher modelliert. In einer Wohnung stellst du ein paar Möbel hin und wenn noch Platz ist, kommen noch ein paar. Im Van muss man von Anfang an wissen, wo was hinkommt. Schließlich werde auch die Strom- und Wasserleitungen zuerst in den Bus verlegt. Du musst also wissen, wo die Lampe, Schalter und Steckdosen sein sollen. Wenn ich etwas vergesse, ist es nur schwer möglich, das im Nachhinein zu ändern. Der Bus muss am Ende auch vorne und hinten, links und rechts gleich beladen sein, damit er nicht schief hängt. Zu lange Wasserleitungen frieren im Winter zu. Das zeigt, dass man unglaublich viel planen muss, auch bezüglich der Materialien, die man nutzt, damit zum Beispiel der Innenraum der Karosserie nicht rostet.
SSP: Viele Menschen entscheiden sich aufgrund des Umweltschutzes für einen beschränkten oder minimalistischem Lebensstil. Ist das auch bei dir so?
Calvin: Jein. Ich bin in den Wagen gezogen, um flexibler zu sein. Ich gehe gerne klettern und mit dem Van wohne ich dann direkt am Fels.
Es gibt für mich eigentlich nichts Schöneres, als morgens direkt am Fels aufzuwachen und klettern zu gehen. Außerdem habe ich schon als Kind immer gedacht, dass das cool wäre, in einem Bus zu leben.
Aber ich merke schon, dass ich viel bewusster lebe. Beispielsweise, wenn es um Müll geht. Da muss ich beim Einkauf wirklich drauf achten. Ich konsumiere aber auch generell bewusster. Wenn ich jetzt neue Gegenstände kaufe, überlege ich mir, ob ich sie wirklich regelmäßig nutzen werde oder ob sie im Endeffekt nur im Weg rumstehen werden. Es ist wichtig, dass alles im Wagen seinen eigenen Platz hat. Ansonsten würde es total unordentlich werden.
SSP: Wie hast du deine Besitztümer reduzieren müssen, als du in den Van gezogen bist und was hast du mit deinen restlichen Sachen gemacht?
Calvin: Ich hatte davor eine eigene Wohnung in Aachen. Die war aber kaum größer als mein alter Bus. Als ich von der Wohnung in den Wagen umgezogen bin, war er erst einmal voller Zeug. Einfach weil ich noch keinen festen Platz für alles hatte. Die ersten Tage konnte ich deshalb nur auf dem Bett sitzen und zur Küche rübergreifen. Das hat sich dann mit der Zeit alles geregelt. Die Sachen, die ich nicht im Van brauche oder nicht unterbekommen habe, lagere ich bei meinen Eltern im Keller.
SSP: Was für Gegenstände hast du denn alles in deinem Van?
Calvin: Kleidung, Töpfe, Pfannen, Lebensmittel, Sportequipment, Kletterzeug, Laufschuhe, mein Rennrad, meinen Laptop, einen Monitor, vielleicht kommt meine Gitarre auch noch in den neuen Wagen. Das einzige, was nicht passt, ist mein Klavier. Da gäbe es aber auch eine Alternative, beispielsweise ein Keyboard.
Ich würde mich selber nicht als Minimalisten bezeichnen. Für mich ist das ein Label, das Leuten gegeben wird oder das sie sich selber auferlegen, indem sie von sich behaupten, Minimalist zu sein. Das Wort ist für mich zu stark durch Social Media geprägt.
SSP: Ist dein Leben im Van auch eine Art Protest gegen die Wohnungsnot in deutschen Großstädten und Studentenstädten?
Calvin: Eigentlich nicht. In Aachen habe ich nur 190 Euro Miete monatlich gezahlt. Das war fast nichts. Aber ich habe mit dem Van auch schon ein halbes Jahr in München gewohnt. Da hätte ich mir sonst sicher keine Wohnung leisten können. Die Wohnungsnot zu umgehen ist ein schöner Nebeneffekt, aber nicht mein Hauptgrund.
SSP: Denkst du, dass dein Wohnstil ein alternatives Konzept sein könnte, um mehr günstigen Wohnraum in Städten zu schaffen?
Calvin: Theoretisch ja. Aber viele Leute wollen nicht auf den Komfort einer Wohnung verzichten. Außerdem würde die Infrastruktur in den Städten das Leben im Van im großen Stil nicht zulassen. Die Parkplatzsituation ist ja meistens auch schlecht. Ich finde, es gibt ein generelles Problem in unserer Gesellschaft: Viele Leute arbeiten täglich lange für eine teure Wohnung oder ein teures Auto und haben so im Endeffekt kaum Zeit, diese Sachen zu nutzen. Ich habe lieber geringere Kosten und dafür Zeit. Das ist aber auch Einstellungssache. Ich glaube, da steht eher das Leistungsdenken im Vordergrund und nicht die Frage: „Was brauche ich eigentlich?“. Das ist ein generelles Problem der Konsumgesellschaft.
Wenn man aber zum Headquarter von Google im Silicon Valley guckt, stehen dort auch viele Vans. Die Leute arbeiten dort von morgens bis abends und verzichten auf ein Haus, da sie ohnehin kaum zu Hause sind.
SSP: Fällt dir im Van nicht manchmal die Decke auf den Kopf?
Calvin: Nein, überhaupt nicht. Den größten Teil meines Tages bin ich in der Uni, klettern oder mache Sport. Deshalb habe ich damit kein Problem.
SSP: Das Vanlife steht für ein Leben in Freiheit und Unabhängigkeit. Hast du das Gefühl, dass es diese Sehnsüchte wirklich erfüllen kann?
Calvin: Ich fühle ich mich nicht durch meinen Wohnsitz festgehalten, aber durch Sachen wie die Uni. Ich könnte jetzt zwar hinfahren, wo ich möchte und dort wohnen. Insofern bin ich frei, aber es gibt ja immer noch andere Verpflichtungen. Gerade schreibe ich meine Bachelorarbeit und muss mich zum Beispiel mit meinem Betreuer treffen. Dagegen bin ich dann komplett flexibel, wo ich im Master hingehe. Ich habe keinen wirklichen Umzugsstress und bin so nicht wirklich an einen Ort gebunden.
SSP: Wie wichtig ist dir Komfort bei deinem begrenzten Lebensstil?
Calvin: Komfort kann man auslegen, wie man möchte. Für mich bedeutet Komfort, dass der Aufbau des Vans zu meinen Abläufen passt. Meinen alten Wagen würden andere wahrscheinlich viel komfortabler finden. Komfortabel ist für mich etwas, was so ist, wie ich es brauche. Meine Dusche muss deshalb nicht wirklich groß sein, weil ich nicht lange dusche. Dafür habe ich aber dann wieder mehr Platz im Wagen für andere Sachen. Komfort ist für mich also nicht Luxus, sondern eher Praktikabilität.