Vanillegelb

Das Erste waren ihre Augen. Scheiße. Das klingt so kitschig. Und was für ein Klischee. Aber kitschig wars so gar nicht und Klischees haben ja ein bisschen ein Recht aufs Atmen. Atmen… Ich verhedder mich schon in den Erinnerungen. Geatmet hab ich jedenfalls erstmal gar nicht. Das wollt ich ja sagen. Zuerst waren da ihre Augen. Die haben mir so entgegengefunkelt, man, anders kann ichs nicht nennen. Andersaugen waren das. Haben sich irgendwo in mich reingebrannt. Merke es ab und zu immer noch, so unterm Hals, da brennts dann noch. Letztens saß ich im Bus und es hat angefangen zu brennen und ich habs einfach n bisschen massiert. Und dann halt überall ihre Augen gesehen. Dann wurd mir ziemlich heiß. Scheiße. Bin schon wieder mittendrin. Okay, also. Ich fang anders an. 

Ich bin so zu dieser Ausstellung, weil Bobby, also mein Bruder, mich halt total gedrängt hat. Er wollte da auch was ausstellen, hatte auch schon nen Namen, „Momente ohne Geschichte“, hab ich vielleicht schon mal erzählt, und wollte dann Leute kennenlernen an dem Abend. Kack Name, aber naja. Hatte sich sogar ne fake Brille aufgesetzt, damit er klüger ausschaut, ha ha. Nicht, dass das was bringen würd. Jedenfalls bin ich n bisschen zu spät dahin, hatte so gar keinen Bock, hatte n bisschen me time und so. Und dann bin ich rein und der Raum war erstmal… keine Ahnung, echt stickig. Und verqualmt. Cooles Wort eigentlich. So ein alter Typ am Eingang hat Eintritt verlangt. Und es standen so Kerzen rum, sonst wars dunkel, und es waren wirklich viele Leute da. Musste mich am Anfang erstmal durchkämpfen. Ich wollte echt kein Geld ausgeben, der Vino war auch total teuer. Dann kam Bobby aber direkt auf mich zu und hatte so nen Dude im Schlepptau, Typ BWL-Justus, klar? Mit Locken. Mannomann. 

Heyy, da bist du ja. 

Umarmung. 

Justus, das ist meine Schwester, Klara. 

Justus. Lol ey. Der hat mich erstmal gemustert. 

Freut mich sehr, Klara! 

Yep, hab ich gesagt. 

Und wie gefällt euch das Ambiente? Mit den ganzen Leuten ist es ein wenig dantesk, oder nicht? 

Justus hat sich im Raum umgeguckt. Bobby hat mich angeguckt und ich ihn. Mein Blick so: You kidding me? Seiner so: Mich interessieren an ihm jetzt nicht seine Sätze. Und was hast du überhaupt an? 

Mein Blick so zurück: Ah leck mich.

Justus hat sich wie aufs Zauberwort wieder zurückgedreht. Seine Locken haben gewippt. 

Und was interessiert dich an der Kunst, Klara? 

Ich hab kurz nachgedacht und mir dabei das Top über den Boobs zurechtgezogen. 

Joa, eig nix, ne. 

Justus hat geblinzelt. Bobby hat mit seinem Blick grad ne Kalaschnikow durchgeladen. 

Aber hast du gewusst, dass mein Bruder ne fake Brille trägt? Sorry, ich muss mal eben aufs Klo. 

Ich hab mich weggeschlängelt, bevor Bobby was sagen konnt, und bin direkt in ner Traube aus Leuten gelandet. So ein paar Typen mit Tanline haben mich angegafft, also bin ich stehengeblieben und hab am Schuh rumgefuckelt, um mich zu bücken. 

Als ichs Klo endlich gefunden hatt, hab ich gemerkt, dass irgendein Duft in der Luft lag. Musste an Maja denken, die immer über ihre Raumdüfte philosophiert. Ich glaub, das war Vanille. Und irgendwas Schärferes. Als könnt ich den Ursprung des Dufts sehen, hab ich mich umgeguckt und erstmal so ein Bild gesehen, weil die Menge grad eine Lücke gebildet hatte. Ne schlichte Leinwand, also kein Rahmen, und da waren so gelbe Stäbe, n bisschen wie bei Mikado, die durcheinander gesteckt waren. Die meisten waren gerade, ein paar sind aber in wilde Richtungen weggebogen. Und unten rechts war ein sehr roter und wilder Punkt. Keine Ahnung, aber irgendwie hat mich das gepackt. Wie so ein Schrei hat das ausgesehen. Hat mich echt total gepackt. Habs mir ein paar Sekunden oder länger angeschaut. 

Ich hab mich dann jedenfalls zum Klo gedreht und da hab ich sie gesehen. Die Augen. Ich wusst gar nicht, was passiert war. Grüne Augen, so sah es kurz aus, und dann war da plötzlich Gelb mit drin. Und dann nur noch Gelb. Alles andere war immer noch dunkel und die Leute um mich rum haben sich doll bewegt. Habs richtig gespürt. Dabei konnt ich mich selber gar nicht mehr bewegen. Es war ganz komisch, als wär ich grad erst aufgewacht. Dauerte auch n Moment, bis mir aufgefallen ist, dass n Gesicht zu den Augen gehört hat. Boah war die schön. Das war so ein anderes Schön, you know, als würden Vergleiche dazu nicht passen. Aber gleichzeitig hat sie auch richtig scheiße geguckt, pure resting bitch face. Wusste direkt, dass die rumbitchen würde. Und wusste direkt, wie sie riechen würd und lachen. 

Ich hab wieder am Top rumgezogen und bin dann zum Klo. Hat ganz gut gepasst, dass ich an ihr vorbeimusste. Bin halt n bisschen langsamer gegangen. Und hab gefühlt, wie sich diese beschissen gelben Augen in mich reinfressen. Mein Mund wurd trocken. Auch so n Klischee, oder? Aber wurd er halt echt. Ich hab die Klotür aufgezogen, so eine Brandschutztür, ziemlich schwer, und in der Kabine dann erstmal kurz die Augen zugemacht. Es war still und schön kalt. Und da hab ichs Brennen das erste Mal gemerkt. Direkt unterm Hals. Als hätt die Sonne zu lange an nur eine Stelle geschienen oder als hätt ich mich an irgendeiner fremden Pflanze verletzt wie damals als Kind im Garten bei Oma. Das brannte und brannte. Und auf einmal hab ich gemerkt, wie horny ich war. Scheiße. Mein Mund war nicht mehr trocken, weil ich offenbar die ganze Zeit mit meiner Zunge an den Lippen gespielt hatte. Gar nicht gemerkt. Und ich war feucht. Mein Herz hat so sehr geschlagen. Ich hab die Augen aufgemacht und die Fliesen an der Wand angeguckt. Hab ein paar Mal durchgeatmet. 

Fuck Alter, hab ich gesagt. Fuck. 

Hab mich einmal mit der Hand von außen durch die Hose berührt, nur um zu gucken, und bin direkt zusammengezuckt. Ich war viel sensibler, als ich gedacht hatte. Wie so ein kalter elektrischer Schlag, ich habs bis in die Füße und die Schultern gespürt. Fuck, was ist denn jetzt los. Doch nicht wegen dieser random bitch. 

Ich bin zum Spiegel und hab mich angeguckt. Ging eigentlich. Hab nicht so ausgesehen, wie ich mich gefühlt hab. Hab mir durch die Haare gewuschelt und durchgeatmet. Kurz gewartet. Und dann die Tür aufgezogen. 

Direkt wieder der Geruch von Wasauchimmerdaswar. Und die ganzen Stimmen. Aber irgendwie war die Stimmung verändert. Die Musik war smoother. Es haben viel mehr getanzt, aber so richtig eng. Wenn man das noch tanzen nennen konnte. Hab mich durchgekämpft und umgeguckt. Durch die ganzen Bewegungen haben die Kerzen ziemlich geflackert. Sah stylish aus. Hab gesehen, dass der Eintrittstyp verschwunden war. Und in einer Ecke waren Bobby und der Justus am Rummachen. Mannomann.

Eigentlich hätt ich n Foto gemacht, um ihn später zu ärgern. Aber ich konnt mich nicht konzentrieren. Hab immer noch das Brennen gemerkt und keine Ahnung, mir war ganz komisch. Dieses Kerzenflackern die ganze Zeit. Und es war so laut. Auf einmal merk ich das Todeskribbeln an meinem Arm und dann packt jemand meine Hand. Ist natürlich sie. Natürlich ist sie das.

Ich dreh mich um. Sie steht nur n paar Zentimeter von mir entfernt. War keine Übertreibung, wie schön die ist. Scheiße. Und die Augen. In meinem Bauch zieht sich was zusammen und ich bin schon wieder so elektrisch.  Sie beugt sich vor und sagt irgendwas. Ich guck sie nur an und verstehe nichts. Sie beugt sich nochmal vor und ich weiß gar nicht, was passiert, aber auf einmal pack ich sie und zieh sie zu mir. Also nicht ich pack sie, sondern meine Beine packen sie. Mein Bauch packt sie. Als hätt ich neue Arme und neue Beine bekommen von irgendwo in mir drinnen und von da zieh ich sie einfach immer weiter ran. Passiert ganz von alleine. Sie reißt sich so n bisschen los und starrt mich kurz an und nimmt meine Hand und zieht mich in nen Nebenraum. 

Diese gelben Stäbe sind echt interessant. Die meisten sind gerade, starr, und wenn ich ihnen mit dem Blick folge, ergibt sich n Rhythmus. Den Blick vor, den Blick zurück. Den Blick vor. Sie zieht mich in den Nebenraum. Und die Stäbe reiben aneinander, wie sie da so stehen, und reiben und reiben… und ein paar, puhh, ein paar sind halt wilder, die drehen sich weg, huh, sind ungezähmter, und wissen iwie gar nicht was sie wollen und wissen es genau… ich… eh…. Und wir sitzen auf ner Couch und liegen auf einmal und sie lässt ihre Armbänder um… Jedenfalls ist das echt n krasses Gelb, keine Ahnung, das ist so n Gelb zum Sichverliern, und es ist echt mild, haaa, und sehr warm… echt sehr warm… Und vielleicht riechts nach Vanille… und die Stäbe sind halt auch alle so eng zusammen, die drücken aneinander, und drücken, und…. Und sie stemmt mir die Beine auseinander die Couch kratzt auf ne gute Weise und die gelben Stäbe drehen sich und drehen sich auf der Leinwand und… und…. Ist wie n Schrei ganz ohne Mund oder n Moment ohne Geschichte… Scheiße, dann dieser rote Punkt, der ist so fuuuuuucking rooooot und mhhhh…. mhhhh….. Der brennt so scheiße gut… und ich verliere mich im Gelb… verliere mich im Gelb…

Später hab ich noch auf der Couch gesessen. Sie war aufs Klo verschwunden. Das war, bevor ich dann doch n paar Vino gekippt hab. Hab da gesessen und iwie noch gezittert. Als käms aus der Mitte meines Körpers. Und hab die Formen der Sägen gesehen, die da standen, und der Staffeleien und die Kanten der Wände und der Decke. Hab die Zacken der Sägen angeguckt. Scheiße spitz waren die. Haben mich beruhigt, keine Ahnung wieso. Das Zittern hat nicht aufgehört. Und ich wollt absolut total und gleichzeitig gar nicht, dass sie wiederkommt. 

Ich erinner mich echt nicht an ihre Stimme. Also, I mean, nicht an ihre Worte. Aber an die Augen. Wobei, eigentlich auch nicht mehr so wirklich an die. Dass sie gelb waren, hab ich ja vielleicht schon erwähnt. Aber richtig gelbe Augen gibt’s ja gar nicht, oder. Sie war ja keine Katze. Ich erinner mich an so n Muttermal an ihrer Hüfte und das Etikett an ihrem Vintage Blazer. Und dass ihre Zunge weniger wild war, als ich gedacht hatte. Aber das alles ist gar nicht so wichtig. Am meisten denk ich, wenn Bobby von dieser Galerie spricht, in der er immer noch nichts ausstellen durfte, an so komische Sachen. Wie schwer die Klotür war zum Beispiel. Oder an die traurigen Augen von dem Eintrittstypen. Und dass die wippenden Locken von Justus ausgesehen haben wie Babyscheiße. No front. Und an diese kalte Art, mit der ich elektrisch geworden bin. Mein Körper hat mir gar nicht mehr gehört. Der hat dem Raum gehört. Und den Leuten und wie die sich ineinandergeworfen haben. Ab und zu, im Bus, bei der Arbeit, beim Brotschmieren, da spür ichs wieder. Abends vorm Müdewerden. Das Brennen. Und mein Mund wird trocken und meine Zunge wird wach. Und das ist das Schönste daran. Nicht, wenn ichs mir danach besorge oder wenn ich es besonders zerdenken will. Einfach dieses krasse Brennen und der Geruch von Schweiß und Vanille. Und diese gelben Stäbe. Und dieses krasse, funkelnde, immerwilde, kirschgetränkte Lippenrot. 

Von Kai Bühner