Von einem Tag auf den nächsten waren sie da: Die mintgrünen E-Scooter des Berliner Start-ups TIER Mobility. Mittlerweile gehören sie fast genauso zu Münsters Stadtbild wie das Schloss oder der Dom. Zeitgleich gibt es seit ihrer Einführung kaum ein Thema, über das hitziger debattiert wird. Die einen freuen sich über den neuartigen Fahrspaß, die anderen prangern die vermeintlich umweltfreundliche Alternative an oder beschweren sich über unvorsichtige Rollerfahrer. Viele Fragen bleiben bei dem Thema E-Scooter offen: Wie sinnvoll sind die E-Scooter? Was steckt hinter dem Namen TIER? Und trägt die „grüne Alternative“ E-Scooter wirklich zum Umweltschutz bei?
Seit Juni 2019 sind E-Scooter auf Deutschlands Straßen erlaubt. Im selben Monat tauchten die ersten Roller des Berliner Start-ups TIER Mobility auch in Münster auf. Hier sind momentan etwa 500 Exemplare des E-Scooter Sharing Anbieters unterwegs – im Vergleich zu anderen europäischen Städten recht wenig. TIER Mobility ist bisher der einzige Anbieter für E-Scooter in Münster. Das Berliner Unternehmen wurde im Juni 2018 von Lawrence Leuschner (Gründer von Rebuy), Matthias Laug (Mitbegründer und Ex-CTO von Lieferando) und Julian Blessin (Mitgründer von Coup) gegründet und vermietet seine Roller in mittlerweile 23 europäischen Städten. Damit gehört das Unternehmen neben seinen Konkurrenten Lime, Voi und Circ zu den erfolgreichsten E-Scooter Sharing Anbietern in Europa.
Wie sinnvoll sind E-Scooter?
Trotz des Erfolgs der E-Tretroller bemängeln viele, dass diese kaum für ihren eigentlichen Zweck, das Auto zu ersetzen, genutzt werden würden. Wann und wo ist es überhaupt sinnvoll E-Scooter zu verwenden? Diese Frage lässt sich nicht städteübergreifend beantworten. Das Hamburger Beratungsunternehmen Civity hat dazu die Nutzungsdaten der Apps von TIER, Lime, Circ und Voi ausgewertet. Diese zeigen, dass die E-Scooter in verschiedenen Städten unterschiedlich stark genutzt werden. In Münster wird ein einzelner E-Scooter im Durchschnitt 4,7 Mal am Tag verwendet. Damit liegt Münster nach Ingolstadt, Karlsruhe und Budapest auf dem vierten Platz der Nutzungshäufigkeit in ganz Europa. In anderen Städten, beispielsweise Berlin mit knapp über 11.000 E-Scootern, wird ein Gerät nur 2,97 Mal am Tag verwendet. Hier sprechen die Verfasser der Studie bereits von einer Übersättigung des Markts. Doch heißt das für Münster sofort, dass die E-Scooter auch sinnvoll genutzt werden?
Auch diese Frage lässt sich pauschal nicht beantworten. Die Anbieter werben mit dem Anspruch, durch ihre Geräte die Städte zu sauberen, klimafreundlicheren Orten zu machen. Die Verleiher bieten ihre Roller insbesondere mit der Intention an, Pendlern zu ermöglichen, die sogenannte „letzte Meile“, beispielsweise von der Busstation bis zur Haustür, schneller und klimafreundlicher zurückzulegen und dafür das Auto stehen lassen zu können. Kritiker bemängeln, dass entgegen der ursprünglichen Intention, das Auto durch die Tretroller zu ersetzen, vor Allem Fahrradfahrer und Fußgänger auf die E-Scooter wechseln würden.
E-Scooter: Grüne Alternative?
Das Umweltbundesamt (UBA) hat hierzu Anfang September erstmals Zahlen vorgelegt. Das Fazit lautet: E-Scooter bringen zumindest bisher „keinen Gewinn für die Umwelt“. Hierfür nennt das UBA zwei Gründe. Die Akkumulatoren der E-Scooter enthalten Rohstoffe wie Kobalt, Nickel, Kupfer und Aluminium und werden unter menschen- und umweltschädlichen Umständen vor allem in Afrika und Südamerika abgebaut. Aufgrund der hohen Umweltrelevanz der Akkuherstellung ist die Lebensdauer des Akkus für die Klima- und Umweltwirkungen der E-Scooter entscheidend. Je länger ein E-Scooter genutzt wird, desto eher verringern sich dessen negative Umweltauswirkung. Noch gibt es keine genauen Zahlen darüber, wie lange ein Roller genutzt werden muss, damit er Emissionen einspart. Bei E-Fahrrädern mit ähnlichem Akku müssten 165 km mit dem E-Fahrrad anstatt mit einem Auto zurückgelegt werden, um die CO2-Emmissionen der Akku-Herstellung zu begleichen. Problematisch ist hierbei, dass die Lebensdauer der E-Scooter häufig bei ein bis drei Monaten liegt und damit die CO2-Bilanz der Roller momentan negativ ausfällt. Die Unternehmensberatung McKinsey hat berechnet, dass ein E-Scooter mindestens vier Monate lang in Gebrauch sein müsste, um Profit für den Verleiher zu erwirtschaften. So hätten die Unternehmen auch ein wirtschaftliches Interesse daran, die Roller so einzusetzen und zu konstruieren, dass sie nicht bereits nach wenigen Wochen entsorgen werden müssen, beispielsweise durch auswechselbare Akkus.
Zweitens zeigen die Zahlen, dass tatsächlich insbesondere Radfahrer und Fußgänger das neue Verkehrsmittel E-Scooter nutzen. Die Präsidentin des Umweltbundesamts, Maria Krautzberger, sagt hierzu: „In der Ökobilanz sind E-Scooter natürlich deutlich besser als das Auto. Aber gegenüber dem bewährten Fahrrad, mit dem sich Strecken ebenso schnell bewältigen lassen und Gepäck besser transportieren lässt, sind E-Scooter die deutlich umweltschädliche Variante und aus meiner Sicht daher keine gute Alternative.“ Laut UBA sei eine Nutzung der E-Scooter in den Innenstädten, wo das Verkehrsnetz auch so schon gut ausgebaut sei, eher belastend für die Umwelt. Dagegen sei eine Nutzung der Roller in den Außenbezirken durchaus richtig. „Hier kann es durchaus sinnvoll sein, die zu lange Strecke zur Bahn schnell mit dem E-Scooter anstatt mit dem Auto zu überbrücken.“, so Krautzberger.
E-Scooter in Münster
Was kann und wird in Münster getan, um zu verhindern, dass die E-Scooter anstelle von anderen klimafreundlichen Fortbewegungsmitteln, wie dem ÖPNV oder Fahrrädern genutzt werden? Entscheidend hierfür ist die Standort Auswahl der E-Scooter. Im Interview mit den Westfälischen Nachrichten spricht der City-Manager Münster, Johannes Junge-Wentrup, von TIER über die Standort-Auswahl in Münster: „Unser Team in Münster hat mit seinem Heimatwissen verschiedene mögliche Abstellflächen gemeinsam evaluiert und nach bestimmten Kriterien bewertet. Unter anderem sind diese Kriterien eine gute Erreichbarkeit, eine Ergänzung des ÖPNV, eine gute Abstellmöglichkeit (ohne den Verkehr, Radwege, Flächen- und Parkplätze für Menschen mit Behinderung, und Fußgängerwege zu behindern).“. Auch versucht TIER in Zusammenarbeit mit den Stadtwerken Münster eine optimale Ergänzung zum ÖPNV zu schaffen. Seit Anfang Juli wurde im Zuge der Flottenvergrößerung bei TIER Mobility auch das Geschäftsgebiet, also der Radius, in welchem die E-Scooter genutzt werden können, vergrößert. Laut Junge-Wentrup gibt es einen großen Unterschied zwischen der Nutzung der Roller in der Innenstadt und den umliegenden Stadtteilen, insgesamt lägen die meisten Strecken jedoch bei circa zehn bis 15 Minuten und bei circa vier bis fünf Kilometern.
Man sollte die E-Scooter nicht voreilig verurteilen. Das neue Verkehrsmittel befindet sich noch immer in einer ersten Hype-Phase. „Es zeigt sich, dass man in Deutschland einen gelasseneren Umgang mit Mobilitäts-innovationen noch üben muss.“, bewertet Civity die momentane Situation. Es sollte auf jeden Fall weiter an aktuellen Problemen, wie der Lebensdauer und der Nutzungsweise der E-Scooter gearbeitet und weitere Entwicklungen beobachtet werden.