ich schreibe darüber, wie es ist, im 21. jahrhundert anfang zwanzig zu sein. wie es ist, sich zwischen krisen, tiktoks und kriegsausbrüchen eine zukunft vorzustellen. wir können alles sein, queer, polyamor, monogam, aber was wollen wir eigentlich? wir können so viel swipen, wie wir wollen, so viele menschen sind nur einen klick von unserem leben entfernt, haben tausend optionen. wir studieren, wir beschäftigen uns mit der welt, wir reisen viel, aber wie fühlen wir uns eigentlich dabei? darum geht es hier.
wir lernten uns auf dem schulhof kennen, im klassenzimmer, in der überfüllten mensa. wir waren fünfzehn, manchmal jünger, so genau lässt sich das jetzt nicht mehr sagen. es waren diese freundschaften, die trotz unsicherheiten, neid und fragilen egos überlebten. wir sprachen zum ersten mal miteinander über sex, über masturbation, über die erste kleine liebe, sie fühlte sich so groß an. wir waren bestimmt manchmal fies zueinander, schließlich waren wir noch nicht ganz wir selbst. aber wir liebten einander trotzdem. wir teilten unsere kleinen und großen probleme miteinander, wir sprachen über philosophie und politik, stritten, vertrugen uns wieder, was wussten wir schon über die welt. und manchmal fühlte es sich so an als seien wir füreinander alles, was wir hatten. wir gingen auf unsere ersten partys zusammen, tranken zu viel, logen unsere eltern an. manchmal wollten wir schöner, schlauer und besser sein als unsere freundinnen, aber am ende waren wir trotzdem füreinander da, wenn alles zu viel wurde. wir dachten, die welt würde uns gehören, alles wirkte so nah, wir hatten die weisheit zum frühstück verschlungen. wir wussten, alles würde sich bald verändern und weinten am letzten schultag mit allen mitschüler:innen, die wir nicht mochten.
mittlerweile sehen wir uns nur noch alle paar monate. wir wohnen schon lange nicht mehr an einem ort, seit neuestem nicht mal mehr in einem land. die welt hat sich weitergedreht als die schule vorbei war. wir haben in großen, fremden städten neue freund:innen kennengelernt. wir sind in unseren alten beziehungen zerbrochen, haben uns neu verliebt. wir sind schon lange nicht mehr alles füreinander. es gibt jetzt unsere partner:innen, neue freund:innen, neue orte, wir schicken uns einmal im monat ein life-update über whatsapp, sechs-minuten-audio. wir kennen nicht mehr alle menschen im leben der anderen. unser chat mit dem gruppenbild aus der elften klasse lebt nur noch alle paar monate mit zwei kleinen nachrichten auf. unsere sorgen sind größer geworden, die welt wirkt manchmal riesig, zwei stunden zugfahrt wie eine ewigkeit. unsere leben sind auseinandergedriftet, unsere meinungen auch. aber wir waren schon befreundet, als alles noch vage und zerbrechlich war. wir waren miteinander befreundet, als wir uns nicht einmal selbst mochten. und irgendwie wird diese freundschaft immer in unserem leben bleiben. in sechs-minütigen audios, die zu wiedersehens-treffen führen, zu stundenlangen gesprächen, in denen wir unsere alten gesichter mit neuen umrissen überzeichnen, in denen wir einander zuhören und akzeptieren, dass unsere leben weitergegangen sind und, dass wir heute neue menschen sind. wir verstehen nicht alles, was auf der welt geschieht, auf die gleiche art und weise, aber wir wissen, wir werden einander immer lieben. daran hat sich nie etwas geändert.