Viva la vida: Mojito, Salsa und Kommunismus

Die Sonne dringt durch die Schlitze der hölzernen Fensterläden und mit der lauwarmen Luft dringen die Geräusche der Straße zu meinem Fenster im Herzen Havannas, direkt über der Casa de la Musica hinauf. Der Hahn, den ich manchmal auf dem Dach des Nachbarn herumstolzieren sehe, kräht und es duftet schon nach dem starken kubanischen Kaffee, den meine Vermieterin morgens auf dem Gasherd aufbrüht. 

So beginnt mein Arbeits- beziehungweise Praktikumsalltag hier. Schon in Dienstkleidung setze ich mich an den Frühstückstisch und breche wenig später auf zu der Bushaltestelle am Parque de Fraternidad, um die P-12 Richtung Krankenhaus, dem Hospital Manuel Fajardo zu nehmen. Auf dem Weg weiche ich einem toten Huhn, das kopflos an der Straßenecke liegt, aus, kaufe ein Brötchen mit Tortilla für später und reihe mich hinten in der Schlange für den Bus, den die Kubaner „Guagua“ nennen, ein. Die Schlange ist um halb acht meist so lang, dass man sich nur schwer vorstellen kann, dass all die Menschen in einem Bus Platz finden sollen aber es geht. Bis zum letzten Kubikzentimeter gefüllt, setzt sich die P-12 schwerfällig in Bewegung, die Reggaemusik dröhnt schon morgens aus den Boxen über der Busfahrerkabine. Ich genieße diese Busfahrten und komme fast immer gut gelaunt zur Arbeit auf der Station 6B der Inneren Medizin.

Schon nach meinem Abitur wollte ich ursprünglich nach Kuba reisen, das Land und seine Menschen kennenlernen, erleben, was es bedeutet, in einem kommunistischen Land zu leben. Damals hat es sich nicht ergeben, aber der Wunsch blieb bestehen und so beschloss ich 2015, diesen mit einer Famulatur (Anmerkung der Redaktion= Pflichtpraktikum für Mediziner) zu kombinieren. Schließlich sollte auch die praktische Ausbildung von Ärzten auf Kuba sehr gut sein, insbesondere für Mediziner, die eine Zeit lang in Projekten wie „Ärzte ohne Grenzen“ arbeiten möchten. Kuba ist Exportmeister, was Ärzte betrifft warum das so ist, sollte ich erst im Laufe meines Praktikums erfahren.

Nachdem ich im Herbst 2015 meine erste Famulatur absolviert hatte, bemühte ich mich, Kontakt zu Krankenhäusern auf Kuba aufzunehmen und traf glücklicherweise im Internet auf einen Erfahrungsbericht und die Kontaktdaten einer Famulantin, die 2014 in Havanna gearbeitet hatte. Durch sie konnte ich einen Arzt kontaktieren und mit etlichen E-Mails schließlich innerhalb eines halben Jahres alles organisieren.

Im Februar 2016 flog ich dann endlich von Köln in den Badeort Varadero, verbrachte dort eine Nacht im Hotel und war sehr froh am nächsten Tag nach Havanna abreisen zu können. Das Hotel hätte mit all den deutschen Touristen im frühen Rentenalter ebenso auf Mallorca sein können.

Einen Tag vor Beginn meiner sechswöchigen Famulatur bezog ich mein Zimmer in der Wohnung einer kubanischen Familie. Ich hatte mich bewusst für diese Option entschieden, denn ich wollte dem Leben hier so nah wie möglich kommen.

Zwar hatte ich kurz vor meiner Abreise noch mit der Studentin aus Köln telefoniert, deren Bericht ich gelesen hatte, doch konkrete Erwartungen hatte ich an mein Praktikum noch nicht. Sicher war nur, dass es werden würde als alles, was ich bisher an Krankenhausstandard aus Deutschland gewöhnt war: Angefangen vom Aufzug, den man mit einem energischen Klopfen an die Metalltüren auf sich aufmerksam machen muss, über den Mangel an Desinfektionsmittel, Handschuhen, EKG-Geräten oder Defibrillatoren bis zu ausschließlich handschriftlich geführten Patientenakten und einer permanenten Pflege der Patienten durch Angehörige, Freunde oder Nachbarn.

Die praktische Ausbildung ist tatsächlich sehr gut. Hier betreuen die Medizinstudenten ab dem dritten Studienjahr Patienten unter Supervision der Stationsärzte, lernen durch ausführliche Visiten direkt am Patientenbett und üben täglich, körperliche Untersuchungen durchzuführen. Der Mangel an neuester Technik erfordert umso bessere Fähigkeiten beim Beobachten, Abhören, Tasten und Abklopfen der Patienten. Sehr beeindruckt hat mich der herzliche Umgang zwischen Ärzten und Patienten. Auch die Pflege durch Verwandte ist hier selbstverständlich. Es gibt kaum Krankenschwestern, wie wir sie kennen. Diese absolvieren auch eine fünfjährige Ausbildung und assistieren meist den Ärzten bei kleineren Eingriffen.

Morgens um acht (oder viertel nach acht, da auf einen allzu pünktlichen Dienstbeginn kein besonderer Wert gelegt wird) beginnt mein Tag im Krankenhaus Manuel Fajardo. Ich habe das Glück, meine Famulatur zum gleichen Zeitpunkt zu machen, zu dem auch viele Studenten aus dem sechsten Semester im Krankenhaus arbeiten und bekomme so vieles von ihnen gezeigt und erklärt. Nach zwei Wochen schreibe ich stolz meinen ersten Arztbrief auf Spanisch und freue mich wie ein Schulkind über den Stempel, den die Stationsärztin daruntersetzt.

Nach einem Monat kann ich der Visite problemlos folgen und auch die ein oder andere Frage beantworten, die die Professorin den Studenten stellt.

Letzten Endes habe ich neben einigen Fertigkeiten für die Praxis auch viel über das kubanische Gesundheitssystem gelernt: Hier ist jede Behandlung für den Patienten gratis, die Medikamente unglaublich günstig erhältlich und das Medizinstudium ist kostenlos. Dementsprechend steht wenig Geld für Geräte, neue Gebäude und Einmalartikel wie Handschuhe und Spritzen aus Plastik zur Verfügung. Kubanische Ärzte wissen, Vieles mit wenig Mitteln zu verrichten und sind auch deshalb sehr gut auf Auslandseinsätze in der Dritten Welt vorbereitet. Sie beherrschen die Kunst der Improvisation. Ihr Ansehen in der Gesellschaft hier ist hoch, ihr Lohn dafür verglichen mit dem eines Taxifahrers sehr niedrig: Zwischen 40 und 60 Dollar verdient ein Arzt hier umgerechnet im Monat. Davon lässt sich auch auf Kuba nur schwerlich leben. Die meisten ziehen lange nicht oder nie aus dem Elternhaus aus, um Geld zu sparen. Auf der Suche nach besserem Verdienst und Karrieremöglichkeiten verlassen viele Ärzte das Land und hinterlassen Lücken im Ausbildungssystem, die nur schwer zu füllen sind. Die Ausreise aus dem Land wurde deshalb in den letzten Jahren für Mediziner immer mehr erschwert.
Da ich an den Wochenenden frei habe, nutze ich diese Zeit, um Ausflüge in die Umgebung Havannas zu machen, tauchen zu gehen, zu wandern, zu reiten, viele Begegnungen zu machen. Fließend Spanisch sprechen zu können, macht sich hier bezahlt. Der Kontakt zu Taxifahrern, den zu den Casas, in denen ich übernachtete und Menschen, die ich auf der Straße traf, war so direkt viel einfacher. Die Herzlichkeit vieler Menschen und die Lebensfreude, die sie trotz widriger Umstände ausstrahlen, hat mich beeindruckt. In der kurzen Zeit habe ich einige wirklich gute Freunde gefunden, kulinarisch und kulturell alles ausprobiert, von Hahnenkampf bis zum Salsafestival im Park alles gesehen und noch mehr Lust auf mehr Kuba bekommen. Ich bin in der kurzen Zeit von diesem bunten Leben eingesogen worden und habe mich zuletzt so sehr daran gewöhnt, dass der Abschied sehr schwer fiel. Ich habe mich in das Land der Widersprüche verliebt. Hier gibt es zwar nur ein Produkt auf drei Supermarktregalen, Rum ist leichter im Kiosk aufzutreiben als Mineralwasser, Taxifahrer wohlhabender als Ärzte und Internet fast nicht zugänglich, aber Kuba müsse man lieben, verstehen könne man es nicht, sagt der Taxifahrer mit einem Lächeln zu mir, als ich am Flughafen aussteige und da ich kann ihm nur beipflichten.

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