Entscheidungen treffen wir nicht nur alle paar Jahre bei einer politischen Wahl, andauernd werden wir mit unendlichen Möglichkeiten im Alltag konfrontiert. Doch wie entsteht unsere Entscheidungsfähigkeit und was meint die Forschung dazu?
„Würdest du mir bitte sagen, welchen Weg ich einschlagen muss?“ Nicht nur Alice aus dem Wunderland stellt sich diese Frage. Auch wir hoffen ständig, den richtigen Weg zu nehmen und wollen nicht selten, dass uns jemand Entscheidungen abnimmt. Die Grinsekatze sagt dazu: „Das hängt in beträchtlichem Maße davon ab, wohin du gehen willst.“ Wissen wir überhaupt, wohin uns unsere Entscheidungen führen sollen? Was erwartet uns, wenn wir uns von einer Möglichkeit komplett verabschieden? Das ist es schließlich, was wir ständig machen müssen, einen Weg wählen. Den anderen, mit allem was darauf liegt, links liegen lassen. Täglich stehen wir vor tausenden Entscheidungen, die wir gar nicht als solche wahrnehmen. In Sekundenschnelle entscheiden wir uns für die zweite Tasse Kaffee, gegen das Warten an der roten Ampel und für unseren Stammplatz im Hörsaal. Unser Gehirn vollzieht eine erstaunliche Leistung. Denn ohne, dass wir es bewusst nachvollziehen, wiegt unser Verstand die unterschiedlichen Ausgänge der gestellten Möglichkeiten ab. Andere, wichtige und schwere Entscheidungen tragen wir über Wochen mit uns herum, obwohl uns vielleicht das Bauchgefühl von Anfang an sagt, was richtig wäre. Große Entscheidungen sind deshalb so anstrengend und nervenaufreibend, weil die Angst vor einer Fehlentscheidung uns vorsichtiger macht. Getreu dem Motto „Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach“ wollen wir meistens kein Risiko eingehen und wählen oft das kleine Glück, die Sicherheit. Die Wahl des Studiums kann zum Beispiel wie die Wahl zwischen zwei Lebensentwürfen erscheinen. Da entscheiden wir uns nach langem Hin und Her letztendlich intuitiv für einen von beiden und meist ist die andere Möglichkeit schnell vergessen.
Neurowissenschaftliche Sicht
Laut Neurologen ist unsere Intuition nur eine Summe aller Erfahrungen. Besonders unromantisch ist die Hypothese der körperlichen Marker des Neurowissenschaftlers António Damásio: Diese besagt, dass sich an all unseren Handlungen, Beziehungen und Entscheidungen aus der Vergangenheit, also an allen bisherigen Erfahrungen, im Gehirn emotionale Marker festsetzen, die zukünftig unsere Entscheidungen beeinflussen. Das Ganze hat Damásio bei einem Unfall im 20. Jahrhundert entdeckt, bei dem ein Mann in diesem Bereich im Gehirn verletzt wurde, in dem sich die Marker befinden sollen. Dem Patienten war es danach unmöglich, Entscheidungen zu treffen, einfach, weil er dabei keine Emotionen mehr empfand. Ganz ähnlich ist der Effekt aber auch bei völlig Gesunden, wenn sie von zu vielen Emotionen überflutet werden. Damásio vermutet sogar, dass uns einige dieser Marker angeboren sind und dass dadurch der Körper so schnell entscheiden kann, was ihm gefällt und was nicht. Die Marker lassen sich nicht einfach an- und abstellen. Somit bevorzugen wir im Alltag automatisch – aus dem Bauch, oder besser aus dem Kopf heraus – einen bestimmten Weg. Da bekommt der Begriff „Selbstbestimmung“ eine ganz neue Bedeutung. Sind wir also nur ein Haufen Neuronen? Aus neurologischer Sicht sollten wir demnach viel öfter auf unsere Intuition vertrauen, denn diese basiert nur auf unserer rationalen Erfahrung, also „geprüften“ Werten und Ansichten, und wird nicht akut von der Umwelt beeinflusst. Ein logischer Umkehrschluss ist aber auch, dass wir Neues ausprobieren müssen, um unserem Verstand aufzuzeigen, dass es immer noch andere Wege gibt. Warum nicht mal den Kaffee schwarz trinken, vielleicht schmeckt es ja doch? Natürlich geht es dabei nicht nur um solche Kleinigkeiten. Jeder kennt das: Nur eine einzige schlechte Erfahrung mit einer bestimmten Wahl, macht uns in der nächsten Situation unsicherer.
Ist freier Wille nur eine Illusion?
Viele Forscher behaupten, dass es gar keine Willensfreiheit gibt, falls Entscheidungen tatsächlich unbewusst im Hirn getroffen werden. Allerdings wird dem entgegengesetzt, dass die Entscheidung nur unbewusst vorbereitet wird und noch beeinflussbar ist. Unser freier Wille besteht demnach genau darin, in die vorgegebenen Entscheidungsprozesse einzugreifen, den eigenen Verstand zu hinterfragen und neue Erfahrungen zu sammeln. Wäre die politische Wahl zum Beispiel nur vom Instinkt geleitet, hinge sie nur von einer riesigen Menge Emotionen ab, dabei würde das Parteiprogramm ignoriert werden. Es besteht also kein Grund zur Sorge: Mit einer gesunden Mischung aus Instinkt und Verstand konnten schon viele „richtige“ Entscheidungen getroffen werden und eine Fehlentscheidung ist auch nicht gleich der Weltuntergang. Und vielleicht manchmal sogar ein Neuanfang.