Der ewige Klassenkampf

Wenige Theorien haben so viel Dissens nach sich gezogen wie die von Karl Marx. Heute ist unser Denken durch die Entwicklungen, die nach Marx’ Tod stattfanden, enorm vorgeprägt. Dabei hat Marx mit dem „Kapital“ einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung der heutigen Volkswirtschaft geleistet. Ein Einblick.

Anders als sein Freund und Mitstreiter Friedrich Engels, hat Karl Marx in seinem Leben niemals eine Fabrik betreten. Das Elend der Fabrikarbeiter beschäftigte ihn dennoch so sehr, dass er ihrer Befreiung vom wirtschaftlichen Unglück sein ganzes Leben widmete. Er war nicht nur Philosoph und Wissenschaftler, sondern auch Politiker und Revolutionär. Verfolgt von der preußischen Zensur verbrachte er ein unstetes Leben, wohnte zeitweise in Deutschland, Frankreich, Belgien und schließlich England. Dort widmete er sich intensiver als bisher dem Studium der politischen Ökonomie, also der Volkswirtschaft. Ausgehend von der ökonomischen Basis konstruierte er später seine gesamte Theorie, darunter seine Idee vom ewigen Klassenkampf.

Marx heute

Approved by Karl. (Foto: Carolin Wicke)

Aber warum sollten wir uns heute noch damit beschäftigen? Sind Marx’ Ansichten nicht inzwischen antiquiert und die Verhältnisse völlig andere? Jein. Natürlich haben wir keine Gesellschaft mehr wie im 19. Jahrhundert. Natürlich ist unsere wirtschaftliche Situation eine völlig andere. Und natürlich hat die Geschichte gezeigt, dass die Vorstellung von einer Diktatur des Proletariats nicht im Sinne ihrer Erfinder gehandhabt wird. Nichtsdestoweniger überdauern Teile von Marx’ Theorie bis heute. Auch deshalb, weil in der Ökonomik, wie in allen Geisteswissenschaften, nie von gesichertem Wissen geredet werden kann. Interessante Fragen stellt Marx in jedem Fall: Wie zum Beispiel erhält etwas seinen Wert? Und wie kommt der Profit des „Kapitalisten“ zustande?

Wert und Ausbeutung

Dazu stellt Marx Überlegungen zum sogenannten „Mehrwert“ an. Um diesem näherzukommen, überlegt Marx zunächst, welchen Wert Arbeit hat. Der Wert der Arbeit regelt sich nicht über das Verhältnis von Angebot und Nachfrage, denn das ist der Preis. Außerdem muss unterschieden werden zwischen dem Wert der Arbeit und dem der Arbeitskraft. Ersterer ist das, was der Arbeiter erwirtschaftet, letzterer das, was er zum Leben braucht. Das schließt zum Beispiel Lebensmittel und Unterkunft für sich, aber auch seine Kinder, die Arbeiter von morgen, ein. Das heißt, dass sich der Wert der Arbeitskraft aus den Werten der Güter ergibt, die der Arbeiter zur Erhaltung und Reproduktion benötigt. Bleibt die Frage, was dann der Wert der Arbeit ist. Dieser setzt sich aus zwei Teilen zusammen. Dem Wert der Arbeitskraft und dem, was man den „Mehrwert“ nennt. Angenommen, der Arbeiter unterschreibt einen Arbeitsvertrag über acht Stunden pro Tag. Der vereinbarte Lohn entspricht allerdings nicht dem Wert seiner Arbeit, sondern lediglich dem seiner Arbeitskraft. Dadurch, dass nicht jede Stunde direkt bezahlt wird, wird laut Marx verschleiert, dass tatsächlich nur vier Stunden statt acht bezahlt werden. Der Arbeiter glaubt also, dass er für den gesamten Arbeitstag entlohnt wird. Für Marx ist die Tatsache der Verschleierung das Einzige, was den Arbeiter vom Sklaven unterscheidet.

Profit und Kampf

Was den Mehrwert angeht, so gliedert sich dieser in mehrere Teile. Ein Teil geht an den Grundeigentümer, ein Teil an den, der das Investitionskapital vorgestreckt hat, und der Rest an den industriellen Kapitalisten, den Unternehmer. Das ist der Profit. Erwirtschaftet hat das alles aber allein der Arbeiter. Das heißt auch, dass der Wert des Produktes nicht willkürlich vom Kapitalisten gesetzt werden kann. Es hat nur einen Wert. Den, der sich aus der in ihm „kristallisierten“ Arbeit ergibt. Deshalb ist das einzige, was der Kapitalist ändern kann, das Verhältnis zwischen entlohnter Arbeit und Mehrwert. Eine Lohnsteigerung hat deshalb nicht den Preisanstieg des Produktes zur Folge, sondern lediglich einen geringeren Profit für den Unternehmer. Gleichzeitig kann der Kapitalist den Lohn nur auf ein Niveau drücken, das es dem Arbeiter erlaubt, sein Leben zu erhalten. Steigen also die Preise für Lebensmittel wie beispielsweise durch Inflation oder Knappheit, müssen die Löhne mit ihnen steigen. Denn sinkt der Preis der Arbeit unter ihren Wert, kann der Arbeiter von seiner Arbeit nicht mehr leben.

Ein Problem sind deshalb auch Konjunkturschwankungen. Im Durchschnitt entspricht der Preis der Waren ihrem Wert. Das gilt auch für die Ware Arbeit. Anders als bei anderen Waren muss die Arbeiterschaft aber in guten Konjunkturphasen für mehr Lohn kämpfen, um Lohnkürzungen durch die Kapitalisten in schlechten Phasen auszugleichen und so den Preis ihrer Arbeit dem Wert ihrer Arbeitskraft anzugleichen. Hierin sieht Marx eine notwendige „Abwehrreaktion“ der Arbeiterklasse gegenüber den Kapitalisten. Dieses Ringen um die Höhe der Löhne ist der ewige Kampf zwischen Kapital und Arbeit.

Revolution und Diktatur

Allerdings kämpfen die Arbeiter hier nur gegen die Symptome. Um die Krankheit auszumerzen, ist nach Marx die ökonomische Umgestaltung der Gesellschaft notwendig. Seine Vorstellung beruht auf einer dialektischen Idee von sich seit Anbeginn der Zeit bekämpfenden Klassen. Vereinfacht gesagt handelt es sich um Gegensätze, die in einer Umwälzung der Gesellschaft enden und eine neue Klassengesellschaft hervorbringen. In der kapitalistischen Gesellschaft erreicht das Ganze seinen Höhepunkt. Marx verspricht sich von der proletarischen Revolution eine Umwandlung der ökonomischen Basis, also der wirtschaftlichen Verhältnisse, die den Fall des gesellschaftlichen Überbaus – also Staat, Kirche, Wissenschaft et cetera – nach sich zieht. Hier kommt die berühmt-berüchtigte „Diktatur des Proletariats“ zum Zuge. Nach Marx eine Übergangsherrschaft, die die bisherigen Regeln ändert. Alle vorherigen Revolutionen waren demnach Minderheitsrevolutionen, die die alte Klassenherrschaft nur durch ihre eigene ersetzten. Die Diktatur des Proletariats jedoch wird alle Klassengegensätze vernichten und damit zerfällt schlussendlich auch diese Diktatur. Das Ergebnis ist die kommunistische Gesellschaft.

Bis dahin hat es kein reales Vorhaben je geschafft. Ob es überhaupt möglich wäre oder ob Marx und Engels schlichtweg zu optimistisch gegenüber der Natur des Menschen waren, soll dahingestellt bleiben. Sicher ist, dass gerade in Zeiten der Krise und sozialer Ungleichheit Marx wieder en vogue zu sein scheint. Auch wenn es schwerfällt, ihn in seiner Gänze auf unsere Gegenwart zu übertragen, so bietet er doch noch heute einige interessante Denkanstöße.

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