Über die Bewegung, die junge Menschen in die Politik bringt
Ein junger Mann öffnet die Tür des Grünen-Zentrums in Münster. Er trägt Hemd zu Jeans, eine Mütze auf dem Kopf. Ich wusste, wer mich erwartet, sonst wäre ich sicherlich überrascht. Die meisten Menschen in politischen Ämtern sind jenseits der 50, auch bei den Grünen, der Partei mit den durchschnittlich jüngsten Mitgliedern. Stephan Orth ist 25 Jahre alt, Student der Theologie und Sprecher der Grünen in Münster.
Anlass unseres Treffens war ein Kommentar zum kommunalpolitischen Engagement junger Studierender in Parteien. Dort berichtet der im April neugewählte Sprecher der Grünen Münster von seinen Erfahrungen als junger Mensch in der Politik. Schreibt über oftmals verfahrene Strukturen und Selbstgefälligkeit im politischen Alltag, über einen Mangel an wertschätzendem Austausch und Dialog, fordert mehr Miteinander. „Es gab einen Anlass für meinen Kommentar und die Analyse. Der konkrete Grund ist unwichtig, es geht mir um Strukturen und Systeme, die junge Menschen, die sich engagieren wollen, eher behindern als fördern. Kaffee?“ Aus dem Büro nebenan kommt eine Stimme, wir könnten noch Tomaten vom Balkon essen, die würden sonst schlecht. Während ein paar Minuten Tomaten pflücken im Nieselregen lernt man sich anders kennen als mit Stift und Notizblock bewaffnet.
„Demokratie heißt auch, die Wahl zu haben”
Bei den Vorstandswahlen im April ist Stephan in einer Kampfkandidatur gegen den amtierenden Sprecher angetreten. „Das war ungewöhnlich, sowas hat es in Münster lange Jahre nicht gegeben.“ Schwergetan habe er sich damit schon. Er wolle niemanden verletzen, aber im politischen Wettbewerb gewinne am Ende nur einer – dessen sei er sich bewusst. „Demokratie heißt auch, dass die Mitglieder eine Wahl haben sollten. Die Herausforderungen, die andere Kandidat:innen und ich gesehen haben, konnten wir nicht auf sich beruhen lassen. Wir wollten sie lösen.“
Anscheinend spürten das auch die bei der Wahl anwesenden Mitglieder, Stephan gewinnt die Wahl mit ca. 70 Prozent der Stimmen. In seiner Rede betont er, wie seine Co-Sprecherin, die Kommunikation innerhalb der Partei – insbesondere zwischen Jung und Alt wünsche man sich mehr Augenhöhe. „Das traf den Nerv der Mehrheit. Trotzdem gab es vereinzelt auch Personen, die in Redebeiträgen, Gesprächen und E-Mails die Existenz eines Kommunikationsproblems geleugnet haben. Gemeinsam konnten wir diese anfängliche Skepsis glücklicherweise überwinden.“
„Es ist nicht immer einfach dazwischen zukommen”
Die Grünen sind die einzige Partei im Bundestag ohne Mindestalter, jeder hat grundsätzlich dieselben Möglichkeiten sich einzubringen und Ämter zu übernehmen. „Dennoch wachsen bestimmte Strukturen schon seit Jahrzehnten. Für Neumitglieder ist es nicht immer einfach dazwischen zukommen.“
Am Niederrhein aufgewachsen, engagierte er sich kurz in der Jungen Union – später dann bei den GRÜNEN. „Die Umwelt- und Menschenrechtspolitik machten den Unterschied. Im Rat waren trotzdem alle über 40 – eine andere Lebensrealität.“ Komplizierte, kaum nachvollziehbare Strukturen machten es für neue Leute nicht leicht, sich einzubringen. Oft fehlte es an Menschen, die an die Hand nehmen und Dinge erklären: „In Münster machen wir das anders.“ Das Vorurteil „Junge Leute haben keine Erfahrungen, daher können sie keine Ämter übernehmen“ hält er für katastrophal. „So werden junge Menschen aus Entscheidungs- und Entwicklungsprozessen herausgehalten. Man negiert Erfahrungen, setzt diese mit dem Lebensalter gleich.“ Im achtköpfigen Kreisvorstand der GRÜNEN in Münster ist nur eine Person älter als 35 Jahre. Es funktioniert.
„Parteien sind kein Selbstzweck”
Individuelles Engagement zu fördern und ansprechbar für die Bürger:innen zu sein, sei dem Vorstand enorm wichtig. „Parteien sind kein Selbstzweck. Politik macht man nicht für sich selbst; Ausgangspunkt muss immer der andere Mensch sein.“
Das links-rechts-Schema ist nicht mehr zeitgemäß
Die Gefahr der Selbstbezogenheit sieht er auch auf höheren Ebenen. „Man kann nicht denken, alles sei in Ordnung, wenn sich nur keiner laut meldet. Wir müssen uns in die Leute hineinversetzen und sie ins Boot holen – Hemmschwellen abbauen und aktiv den Dialog ermöglichen.“ Das sei ein Kern bei der Debatte um das Engagement junger Menschen. Es mangle nicht an motivierten Leuten mit Charisma, Ideen und Wissen. Zu häufig scheiterten diese an der Realität politischer Strukturen. „Auch bundespolitische Debatten verschieben sich. Das alte links-rechts-Schema taugt kaum mehr.“ Die Spannung läge zwischen denen, die eine offene und denen, die eine geschlossene Gesellschaft wollen.
Die eine Universallösung gäbe es nicht, wohl aber einen Lösungsweg. „Jede und jeder hat für sich genommen Ahnung. In seinem Bereich und in seinem eigenen Erfahrungsschatz. Ich bin überzeugt: Gesellschaft und Politik können nur weiterkommen, wenn ein gemeinsames Großes entsteht. Dafür müssen wir die Einzigartigkeit aller anerkennen und einbeziehen.“