Ein Katalysator des gesellschaftlichen Wandels

Aus dem alten Hill-Speicher, liebevoll „B-Side“ genannt, soll das neue Herzstück des Hansaviertels werden.

In den späten 1990ern und frühen 2000ern beginnt die Stadt Münster alte Gebäude am Nordwestufer des Hafens zugunsten der aktuellen Glas-und-Stahl-Fassaden abzureißen. Doch auf der „B-Seite“ des Hafens, im Hill-Speicher, formt sich Widerstand. Im Laufe der Jahre entsteht das Projekt „B-Side“ – aus dem Speicher wird ein Kulturzentrum der lokalen Subkultur, in dem freie Kunst, legendäre Parties und eine Politik der Offenen Tür gelebt wird. Immer wieder steht das Projekt auf der Kippe, immer wieder wird das Geld knapp. Jetzt sind Pläne für die Sanierung des Gebäudes da.    

Es ist Sonntag, 13 Uhr. Die B-Side liegt still vor mir, doch der Schein trügt. Als ich kurz darauf mit Simon Mertens und Claudia Schölling im Plenarraum sitze öffnet sich immer wieder die Tür. „Wo findet der Kunstworkshop statt?“ fragt eine junge Frau und wird von Claudia freundschaftlich ein paar Räume weiter geleitet. Es ist eine entspannte und lockere Atmosphäre. Doch was auf mich so unkompliziert erscheint, ist das Ergebnis täglicher harter Arbeit.

Seit 2016 sind Simon und Claudia beim B-Side Projekt dabei. „Damals war alles etwas einfacher“, erinnert sich Claudia. Die 28-Jährige hat Malerei studiert und konnte in diesen Räumlichkeiten ihre erste Ausstellung verwirklichen. Simon ist 29 und promoviert in Umwelt- und Planungsrecht. Seine juristischen Kenntnisse haben sich für die B-Side als äußerst nützlich herausgestellt. Andauernd gilt es, Förderanträge an die Stadt, das Land oder Stiftungen zu stellen. Auch Business-Pläne schreiben sich nicht von alleine.

Im Moment ist das große Thema die geplante Sanierung. Ein umfangreiches Projekt, für das eine Menge Geld aufgewendet werden muss. Möglichst viel von dem hafentypischen Gebäude soll erhalten bleiben, um die Kultur und Geschichte des Ortes zu wahren – das ist allen sehr wichtig. Claudia betont: „Wir wollen einen veredelten Rohbau daraus machen“. Wenn alles klappt werden die Sanierungsarbeiten im Jahr 2021 abgeschlossen sein.

Doch warum stecken Menschen wie Claudia und Simon so viel Arbeit in das Projekt? Ganz einfach: „Wir wollen keinen toten Stadthafen“, erklärt Simon nur einen Grund. Doch in erster Linie geht es um die Menschen, die Münsteraner:innen. „Wohnraum in Münster ist kaum noch bezahlbar“, kritisiert Claudia die aktuelle Situation. Für Künstler sei es daher so gut wie unmöglich neben der eigenen Miete noch das Geld für ein Atelier zur Seite zu legen. In der B-Side sind sie willkommen, sich kostenlos auszuleben, ihnen steht Experimentier-Raum zur Verfügung – für die Zukunft sind nicht nur Ausstellungsmöglichkeiten, sondern auch offene Werkstätten geplant. Schon jetzt finden verschiedenste Veranstaltungen statt, von Yoga über Nachhaltigkeitsabende, bis hin zu Konzerten und Theater. Und das sind nur Beispiele dafür, was sich in der B-Side tagtäglich abspielen soll.

„Wir wollen Räume ohne Konsumzwang zur Verfügung stellen, Kultur und Bildung umsonst anbieten und Selbstverwirklichung ermöglichen“, verdeutlicht Claudia den Kerngedanken. Simon ergänzt: „Sobald man irgendwo ein Preisschild dranhängt schließt man automatisch Leute aus“. Aber nicht in der Subkultur, nicht hier, wo es keine Hierarchien gibt und jede Stimme gleich viel zählt. Wo Vielfalt im Mittelpunkt steht und Selbstaufopferung sogar Spaß macht – für eine gute Sache. Die B-Side ist von allen für alle, das werden die beiden nicht müde zu betonen: „Wir sind ein offenes Kollektiv und können immer Leute gebrauchen!“. Egal wie viel Zeit man mitbringt, ob man in der Öffentlichkeitsarbeit, beim Fundraising, im wirtschaftlichen, politischen oder künstlerischen Bereich mithelfen möchte: Jeder ist mit seinen Ideen willkommen und kann sich nach Belieben einbringen. „Wer möchte kann bei uns auch ein Praktikum machen, das hatten wir bereits“, erwähnt Simon.

Natürlich sei es auch anstrengend, sich so von einem Projekt vereinnahmen zu lassen. Zeit und Geld sind Ressourcen, die leider stetige Mangelware bleiben. Doch wenn die Stadt Münster und seine Bewohner:innen die Kreativwirtschaftler am Hafen weiter und mehr unterstützen, dann bricht vielleicht irgendwann eine Zeit an, in der Geld nicht nur in Projekte, sondern auch feste Stellen fließen kann – derzeit leider noch ein ferner Traum.

Dieser Artikel stammt aus der aktuellen Ausgabe des Semesterspiegels (#438). Weitere Inhalte findet ihr exklusiv nur im Heft (PDF).

 

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