Eine Exklave trister Langweiligkeit!

Münster ist für uns Studierende ein kneipenlandschaftliches Paradies. Jeden Abend stehen uns mehr Kneipen, Bars und Clubs zur Auswahl, als wir wahrscheinlich jemals während unseres Studiums besuchen können. Gut gefüllte Lokale mit Flüssigkeitsausschank gehören genauso zum Stadtbild wie die unzähligen Kirchtürme. Ob Sommer oder Winter lassen wir den Tag bei einem Gläschen Wein am Hafen ausklingen, gehen auf ein paar Bier an den Hansaring und tanzen  am Hawerkamp bis zum nächsten Sonnenaufgang. Ein Abend, der in den Kneipen der Jüdefelder begann, hat schon oft in den Bars am Bült geendet, zu deren Sperrstunde andere zur Arbeit fahren. Für eine gemütlichere Atmosphäre sorgen hingegen die Lokalitäten im Erphoviertel, der Wolbecker Straße oder ganz klassisch in der Kreuzstraße. Genau in der Letzteren wurde der Grundstein für die lebendige Kneipenvielfalt gelegt, wie wir sie heute kennen. Den Anstoß dazu verdanken wir einem Münsteraner Studenten.  Aber dafür müssen wir 60 Jahre zurück gehen.

„Exklave trister Langweiligkeit, das Nirwana auf Erden, ein Eldorado für Spießbürger“

Im Jahr 1958 war es friedlich in Münster, sehr friedlich. Der Zweite Weltkrieg war gerade dreizehn Jahre her und die Flower-Power-Zeit noch nicht in Sicht. Die Einwohnerzahl betrug die Hälfte der heutigen. Nicht die damals 9.000 Studierenden, sondern die Kirchenglocken sorgten für den größten Lärm in der Stadt. Alles war ruhig und geordnet wie immer – bis der Jurastudent Wilfried Weustenfeld seine Unzufriedenheit über diesen Zustand in unmissverständlich klare Worte fasste und damit die Stadt revolutionierte. In seinem Artikel mit dem Titel „Cavete Münster – Elegie eines Nicht-Akklimatisierten“ in der 31. Ausgabe des Semesterspiegels beschreibt er ein Münster, was wir uns heute vielleicht noch vorstellen, aber in der Stadt kaum noch erkennen können. Münster sei eine „Exklave trister Langweiligkeit“, das „Nirwana auf Erden“ und ein „Eldorado für Spießbürger“ in dem es kein Café, geschweige denn eine Kneipe oder Tanzbar für Studierende gäbe. Die Tristesse in der Stadt an Abenden und verregneten Sonntagen sei daher kaum zu überbieten und er rate jedem Studierenden ab, nach Münster ins „Exil“ zu ziehen.

Diese Wortwahl war für die damalige Zeit prekär und das Thema an sich sehr brisant. Daher folgte die Reaktion auf Weustenfelds Artikel prompt in der nächsten Ausgabe des Semesterspiegels, die sofort vergriffen war. Die weitreichende Leserschaft diskutierte Weustenfelds Anschuldigungen kontrovers und ebenfalls mit sehr klarer Sprache. Dabei wurde gefordert, ihm übers Maul zu schlagen und ihn sogar zu exmatrikulieren – wie sich zeigt, hatten zu diesem Zeitpunkt, 13 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg, noch einige Ansichten aus dem dritten Reich die Nazi-Herrschaft überdauert.

Auch die nationale Presse wurde auf den Diskurs aufmerksam und beteiligte sich mit Parolen wie „Student bricht Westfälischen Frieden“ daran. Die Zeit recherchierte in Münster und berichtete über die „Elegie eines Nicht-Akklimatisierten“ Studierenden. Schließlich äußerte sich auch der damalige Rektor der Universität, Professor Klemm, persönlich zu Weustenfelds Artikel. Er fand, dass er trotz seiner unglücklichen Wortwahl in der Sache Recht habe und veranlasste, einen Treffpunkt für die Studenten zu schaffen. Dank des revolutionären Aufbegehrens eines einzelnen Studenten entstand in Münster also die Akademische Bieranstalt Cavete – benannt nach dem Titel des Artikels. Heute ist die Cavete neben ihrer Geschichte vor allem für Grüne Nudeln und Hunde als Wahrzeichen bekannt. Doch wie es dazu kam, ist eine andere Geschichte.

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe 436 mit dem Titelthema Revolution.

Schreibe einen Kommentar