Interview mit Hannah Epperson

Am 16. September hat Hannah Epperson ihr Album „Upsweep“ veröffentlicht. Wir haben im Rahmen eines Konzertes am 08. Oktober in der Dominikanerkirche zum Auftakt des Reset-Festivals in Münster mit der 28-jährigen US-Amerikanerin über ihre Heimat, ihren Lieblingsemoji, den Unterschied zwischen netten und guten Menschen und das Touren in Deutschland gesprochen. Es bleibt der Eindruck einer sensiblen, quietschfidelen und tiefgründigen Person, die an John Greens Margo erinnert.

Unter Mitarbeit von Jannes Tatjes

SSP: Stell dich doch bitte kurz den Lesern vor, die dich noch nicht kennen.

HE: Hi! Mein Name ist Hannah Epperson. Ich wurde in Salt Lake City geboren und bin in Vancouver aufgewachsen. Bis zum Beginn meiner jetzigen Tournee habe ich in New York City gelebt. Nun bin ich stolz darauf, sagen zu können, dass ich offiziell wohnungslos bin.

SSP: Wie würdest du deinen Musikstil in eigenen Worten beschreiben?

HE: Das ist schwierig. Es gibt verschiedene Einflüsse, die mich und mein Violinspiel geprägt haben. Ich bin mit der Musik von Björk, Radiohead, System of a Down sowie Pentangle aufgewachsen. Außerdem glaube ich, dass ich mit der Violine nur ein beschränktes Instrument habe, das oft einfach nur mit der Folk- oder klassischen Musik in Verbindung gebracht wird, wo es normalerweise genutzt wird. Bei meiner vor kurzem veröffentlichten Platte gibt es jedoch zwei unterschiedliche Seiten: Während die eine eine Art Experimental-Pop ist, ist die andere etwas zurückgebaut, jazzartig und neoklassizistisch. Die Platte ist somit eine Art von Ausdruck dieser wirklich vielen diversen Einflüsse.

SSP: Deine Musik wirkt sehr phantasievoll und pulsierend. Was ist deine Inspiration?

HE: Ehrlich gesagt, kommt die Musik von allem, was keine Musik ist. Ich schreibe Musik, wenn ich in ganz viele andere Sachen involviert bin: Wenn ich Literatur lese, beim Spazieren in der Natur oder wenn ich während einer durchzechenden Nacht für vielleicht acht Stunden verrückte Gespräche führe bis die Sonne aufgeht. Dann bin ich durch meine Umwelt stimuliert und das sind die Dinge, die mich zu meiner Musik inspirieren. Ich habe das Gefühl, dass Musik eine Sprache ist, die allem anderen im Leben Ausdruck verleiht. Nach einer durchzechten Nacht schnappe ich mir einfach ein Instrument, da der Song da ist. Musik ist nicht getrennt vom Leben, sondern der Ausdruck von allen Dingen im Leben.

SSP: Spielst du neben der Violine noch andere Instrumente?

HE: Nicht offiziell. Ich bin zwar offiziell wohnungslos, aber ich spiele offiziell keine anderen Instrumente. Wenn irgendwo ein Instrument herumliegt, dann spiele ich es. Aber es ist nicht fließend. Ich kann ein bisschen Deutsch sprechen, aber ich kann keine Unterhaltung führen. Doch ich kann ein wenig zusammenbasteln.

SSP: Warum hast du deine LP „Upsweep“ genannt?

HE: Upsweep ist dieses nicht identifizierte Geräusch, das von der Ozeanografiebehörde der USA entdeckt wurde. Aber es ist zurückgegangen, das Geräusch verschwindet seit den 90er-Jahren immer mehr. Ich liebe diese Idee: Niemand weiß, woher zum Teufel es gekommen ist und es verschwindet, bevor es irgendjemand herausfindet. Ich glaube, das ist ein großartiger Titel für einen Katalog meiner eigenen Sounds, die ähnlich sind, da ich nicht weiß, wo sie herkommen.

SSP: Du wurdest in Salt Lake City geboren und bist in Vancouver aufgewachsen. Bist du US-Amerikanerin oder Kanadierin?

HE: Irgendwie beides, denke ich. Ich habe Salt Lake City im Alter von 13 Jahren verlassen. Daher habe ich keine Verbindungen mehr zu der Stadt. Auch wenn ich die Landschaft schon vermisse wie die Red Rocks oder die Wüste. Aber auch bei Vancouver weiß ich nicht so richtig – Fuck Vancouver! Das fühlt sich auch nicht mehr nach Heimat an. Da leben zwar viele Menschen, die ich liebe, aber ich bin sehr frustriert von dieser Stadt. Die Menschen an der West Coast leben so abgeschieden vom Rest der Welt. Vancouver ist einfach zu schön. Ich glaube, dass es dort wichtiger ist, dass das Erscheinungsbild gut ist, als das die Stadt es in Wirklichkeit ist. Es gibt einen Unterschied zwischen nett und gut sein in diesem Leben. Ich kenne viele Leute, die nett sind, aber das sind keine guten Menschen. Vancouver ist so nett, so hübsch, jeder macht Yoga und isst grüne Smoothies. Aber die Leute wollen nicht mit irgendeiner Art von Kompromiss belästigt werden, die die Dinge wirklich verbessern könnte.

SSP: Das ist aber nicht nur das Problem von Vancouver, sondern ein generelles Problem der westlichen Welt.

HE: Ja, aber Vancouver ist ein wirklich ausgeprägtes Beispiel. Aber vielleicht liegt das auch nur daran, dass ich dort gelebt habe und ich deswegen am kritischsten bin. Ich lebe in New York City und das ist so verdammt real. Da sind so viele Leute mit ihren unterschiedlichen Arten … Ich weiß nicht. Das ist kompliziert.

SSP: Auf deinem Twitter-Account befasst du dich eher mit den Geschehnissen in den USA. Es scheint, dass du dich mehr auf die USA fokussierst. Was ist mit Kanada?

HE: Kürzlich habe ich einen Artikel über die Inhaltslosigkeit von Justin Trudeau gepostet. Er ist wie so ein super netter Typ, der auf der Pride Parade tanzt. Und er macht diese ganzen Aussagen, die den Leuten das Gefühl geben, „Oh, wir sind gut“. Aber hinter geschlossen Türen ist die aktuelle Politik anders. Er nimmt Dinge zurück, die er angekündigt hatte, zu tun. Die Beziehung mit den First Nations in Kanada ist so beschissen. Ich glaube nicht, dass Kanada ganz so nett und gut ist. Deshalb ist es schwer für mich, zu wissen, wo meine Gemeinschaft ist. Gut, ich besitze die US-amerikanische Staatsbürgerschaft. Da ist eine beängstigende Wahl im Gange und ich fühle mich verantwortlich als eine US-amerikanische Staatsbürgerin zu reisen, als eine Art gute Diplomatin. Eine künstlerische Diplomatin zwischen diesem abgefucktem Land und allen anderen, die abgefuckt sind (lacht). Überall ist die Scheiße am Dampfen.

SSP: Du bist also offiziell wohnungslos, aber sind dein Schlagzeuger Jason und die Leute, die du auf der Tour kennenlernst, nicht deine Gemeinschaft?

HE: Ich bin sehr wählerisch, was die Leute angeht, mit denen ich Zeit verbringen möchte, da ich intellektuell und emotional gefordert werden möchte. Deshalb ist es mir auch besonders wichtig, sich um die Leute zu kümmern, mit denen ich zusammenarbeite. Das sind die Leute, mit denen du in Kontakt bist. Wenn du keine geteilten Werte hast – egal ob du nun von der geschäftlichen oder künstlerischen Seite kommst –, was bringt es dann?

SSP: In einem Interview hast du gesagt, dass du es liebst, durch Deutschland zu touren. Woran liegt das?

HE: Das Publikum ist wirklich klasse. Es ist ruhig und respektvoll. In Deutschland werden Künstler sehr gut behandelt: Du wirst gefüttert und bekommst eine Bleibe. Generell ist es eine wahnsinnig Sache auf Tour zu gehen. Jeden Tag in eine neue verdammte Stadt zu fahren und zu hoffen, dass jemand kommt, um dich spielen zu hören. Für so etwas muss man ein wenig verrückt sein. Und es ist wirklich anstrengend. Wenn du keine Leute hast, die dich empfangen, dann macht es keinen Sinn auf Tour zu gehen.

SSP: Was ist der nervigste Punkt beim Touren?

HE: Ich bin eine wirklich soziale Person, aber gelegentlich brauche ich auch sehr viel Zeit für mich allein und diese finde ich auf der Tour nicht oft. Gerade weil ich quasi der Bandleader bin. Ich fühle mich ständig dafür verantwortlich, dass sich jeder geliebt und umsorgt fühlt. Aber manchmal möchte ich mich einfach nur in eine Ecke verkriechen, einen Heulanfall bekommen oder einfach schlafen. Das kann ich während einer Tour nicht wirklich tun, aber das ist okay (lacht).

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SSP: Du bist sehr viel unterwegs. Weißt du überhaupt, wo du gerade bist?

HE: (Überlegt) Nein (lacht). Doch, in Münster. Das ist ein weiterer Punkt, der wirklich schön am Touren ist. Das erneute Besuchen von Orten, an denen man schon aufgetreten ist. Das erneute Treffen von Leuten wie Nicholas, der meine Show schon zweimal in die Pension Schmidt gebracht hat. Ich war wieder dort, habe einen Kaffee getrunken und es ist als wäre ich zu Hause. Und das ist ein wirklich schönes Gefühl während einer Tour, da es um all die Gemeinschaften und Beziehungen geht, die man aufgebaut hat, und dann kehrt man zurück.

Schnellantwortrunde:

SSP: Wann hast du begonnen, Violine zu spielen?

HE: Als ich fünf Jahre alt war.

SSP: Kannst du dich an deinen ersten Song erinnern, den du auf deiner Violine gespielt hast?

HE: Nein. Wahrscheinlich habe ich „Twinkle, Twinkle, Little Star“ gelernt und ich glaube, ich habe auch mit der Suzuki-Methode gelernt, denn das ist das, was du lernen musst.

SSP: Der bekannteste Kontakt in deinem Handy?

HE: Für mich ist es Shane Koyczan. Er ist einer dieser verrückten Spoken-Word-Poeten und ich habe ihn auf einer TED-Konferenz kennengelernt. Ich denke, er ist wirklich großartig. Mittlerweile ist er überall auf der Welt bekannt. Aber generell: Scheiß auf die Berühmtheit!

SSP: Was ist dein Lieblingsemoji?

HE: 😭 oder 🕳. Das weinende Gesicht ist das Emoji, was ich am meisten nutze. Mein Lieblingsemoji ist das schwarze Loch im Boden. Graphisch scheußlich, aber es ich denke, es ist brillant.

SSP: Wer ist dein größter Fan?

HE: Sein Name ist Felix und er ist ein wirklich süßes Kind.

SSP: Was ist die letzte Sache, die du tust, bevor du schlafen gehst?

HE: (überlegt) Ich habe eine wirklich schlechte Angewohnheit. Ich falle einfach in ein tiefes Loch bei Twitter, wenn ich die ganzen apokalyptischen Nachrichten von der Welt lese. Ich glaube, das ist der Grund, warum ich auch nur apokalyptische Träume habe. Ich sollte das mit Twitter lassen, aber ich kann nicht zu Bett gehen, ohne all das zu wissen.

SSP: Laufen gehen oder auf dem Sofa liegen?

HE: Laufen. Gut aktuell ist das Ding … Nein, laufen.

SSP: Sneakers oder High Heels?

HE: Sneakers. Obwohl keine Schuhe aktuell.

SSP: Singst du unter der Dusche?

HE: Ich weiß nicht, ob man das Singen nennen kann. Hört sich eher nach einem Wal an.

SSP: Welche Art von Musik hörst du?

HE: Ich höre Death Gribs sehr oft im Auto. Das ist wirklich super heavy. Oder Deerhoof. Kennt ihr das?

SSP: Nein.

HE: Ich nenne euch hier echt guten Stoff (lacht).

SSP: Dein Lieblingssong?

HE: Der erste Song, der mir jetzt in den Sinn kommt ist … der Song den ich am meisten in den letzten Tagen gehört habe ist Get Got von Death Grips.

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