Ist der ESC jetzt politisch oder nicht?

„Eurovison is non-political, strictly neutral“ singt Hazel Brugger, unter anderem Moderatorin des Abends, vergangene Woche beim ESC in der Schweiz als Unterhaltungs Act außerhalb des eigentlichen Wettbewerbs. Während man bei ihr, vor allem vor ihrem beruflichen Hintergrund als Comedian, tatsächlich von einem Scherz ausgehen kann, fehlt von Begeisterung für diese Art der Satire bei der European Broadcasting Union, kurz EBU, wahrscheinlich jede Spur. Die EBU hat sich als Zusammenschluss öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten Europas, Nordafrikas und Vorderasiens das Ziel gesetzt, Programmaustausch zu organisieren und zu koordinieren und dabei als erfolgreichste Produktion den ESC hervorgebracht. Sie pocht seit jeher darauf, den ESC als „unpolitische Veranstaltung“ auszurichten und verbietet demnach politische Äußerungen jeglicher Art während des Wettbewerbs. So weit so gut. Nur war der ESC seit Anbeginn immer zu Teilen Schauplatz politischer Kontroverse, was nicht zuletzt mustergültig die Disqualifikation Russlands aus dem Wettbewerb 2022 aufgrund des Angriffskrieges auf die Ukraine zeigt. Auch der Sieg der Ukraine in demselben Jahr zeigt, neben einer guten musikalischen Leistung der Band, die Solidarität Europas mit dem von Kriegsverbrechen betroffenen Land. Trotz Bemühen der EBU scheint es also unmöglich, Gesellschaft und Politik für einen Contest voneinander zu trennen.

Da kommt natürlich die Frage auf, wie das mit der Solidarität anderen Ländern gegenüber aussieht. Seit 2023 ruft der Krieg in Israel und Gaza unendlich viele Diskussionen bezüglich der Teilnahme Israels am ESC hervor, was die Kandidatinnen Israels in den letzten beiden Jahren am eigenen Körper miterleben mussten – während ihrer Performance wurden sie ausgebuht und sogar mit Morddrohungen konfrontiert. Zusätzlich liefen vergangene Woche parallel zum Contest diverse pro-palästinensische Demonstration in der Austragungsstadt Basel, ehemalige ESC-Teilnehmende, wohlgemerkt 70 an der Zahl, riefen zum Ausschluss Israels auf und Spanien, Island und Slowenien zeigten sich besonders solidarisch. „When human rights are at stake, silence is not an option. Peace and Justice for Palestine“ sind die Worte, die das spanische Fernsehen während der Live-Übertragung am Samstag vor einem schwarzen Bildschirm an das ganze Land sendete. Worte, die sich auch die EBU zu Herzen nehmen sollte. Leider reichte es nur für eine Kenntnisnahme, und nein, nicht mal Bedenken des Europäischen Parlaments konnten daran etwas ändern. Der ESC sei ja schließlich ein kulturelles Ereignis zwischen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten und nicht zwischen Regierungen.

Egal wie schön die Wunschvorstellung wäre, für einen Abend „Europa durch Musik zu verbinden“ und Politik aus und vor zu lassen – aber gerade jetzt den Wettbewerb krampfhaft unpolitisch zu halten und damit blind die schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen in Gaza zu ignorieren, scheint doch ziemlich unverständlich. Der Wunsch der EBU, sich und ihren ESC nicht zum politischen Instrument machen zu lassen, geht hier eindeutig in die falsche Richtung und trägt massiv zur Normalisierung dieser unmenschlichen Verbrechen bei.

von Amelie Stolz