Loslassen können für mehr Leben

Minimalismus: unnötigen Ballast abwerfen, fruchtlose Kontakte und ziellose Tätigkeiten ad acta legen – das scheint bei den christlichen Orden schon seit Jahrhunderten Programm zu sein. Hier versprechen Menschen bei ihrem endgültigen Eintritt  Armut, Ehelosigkeit und Gehorsam. Sie sind auf der Suche nach dem „Mehr“ im Leben und verschreiben sich ganz einem tieferen Sinn und dem, was man nicht mit Händen greifen kann. Ich möchte mehr darüber erfahren und treffe mich mit Anne Kurz. Sie studierte selbst an der WWU und war wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Ökumene der Katholisch-Theologischen Fakultät. Seit 1996 ist sie Ordensfrau der Gemeinschaft Verbum Dei, die ihr Haus gleich um die Ecke beim Englischen Seminar an der Johannisstraße hat.

Interview geführt von Christiane Kuropka

SSP:Der Minimalismus plädiert für einen bewussten Umgang mit Besitz. Gegenstände sollen sinnvoll ausgewählt sein und der Zufriedenheit dienen, Krempel und grenzenloser Konsum sind tabu. Siehst Du in Deinem Ordensleben Parallelen zu diesem Konzept?

AK: Es gibt Parallelen. Durch das Gelübde der Armut sind wir darauf ausgerichtet, eine Reduktion zu leben, also möglichst wenig Besitz zu haben. Unser Konzept ist aber nicht einfach nur minimalistisch. Uns geht es darum, Zeugnis zu geben von dem, was wir als erfüllend empfinden, nämlich dem Geheimnis, das wir Gott nennen. Das, was mich leben lässt, ist eben nicht der Besitz, auch wenn er Komfort und Sicherheit verspricht, sondern eine andere Freude. Ich möchte Zeugnis davon geben, dass das, was Gottes Gegenwart im Menschen auslöst, also Glaube, Hoffnung, Liebe und Geduld eine andere Freude bringt, die mir eben kein toll bezogenes Sofa schenken kann. Manchmal führt Besitz auch zu einer inneren Leere.

Ordensfrau Anne Kurz.

SSP: Was bedeutet Armut für Dich persönlich?

AK: Es hat mich nie besonders angezogen, möglichst viel zu haben. Ich bin nie ein Mensch gewesen, der Shoppingtouren unternommen hat oder großartige Bestellungen. Das entspricht einfach nicht meinem Naturell. Ich bin allerdings ziemlich librophil, was in Münster nicht so schlimm ist, weil man viele Bücher ausleihen kann.

SSP: Das führt mich zu einer indiskreten Frage: Wieviel besitzt Du eigentlich?

AK: Das ist schwer in Worte zu fassen. Im Zweifel wird man in einem internationalen Orden auch mal an einen anderen Ort versetzt und dann kommt es darauf an, nicht mehr als 23 Kilo zu besitzen, also so viel, wie man in einem Flugzeug problemlos mitnehmen kann. In dem Moment muss man sich entscheiden, selbst wenn man in seinem Zimmer mehr angehäuft hat. Das Wort Besitz ist da relativ.

SSP: Wie viel Geld hast Du konkret zur Verfügung?

AK: In unserem Orden gibt es kein Taschengeld. Wir haben eine Haushaltskasse, aus der man sich kleinere Beträge nehmen kann. Größere Anschaffungen wie Schuhe oder einen Sportkurs besprechen wir in der Gemeinschaft.

SSP: Dem Minimalismus geht es nicht nur um einen bewussten Umgang mit Besitz, sondern auch um zufriedenstellende Beziehungen. Hat Deine Entscheidung für das Ordensleben auch Deine Beziehungen verändert?

AK: Natürlich prägt ein Ordenseintritt die Beziehungen. Man wird als Schwester wahrgenommen und geht Beziehungen als Ordensschwester ein. Gerade als helfender Mensch muss man dann seine eigenen Grenzen anerkennen und akzeptieren, wenn man jemandem gerne helfen würde, es aber nicht kann. Allgemein versuche ich, Menschen auf einer Ebene zu begegnen, auf der es eher um existentielle Fragen geht als um irgendeine Freizeitbeschäftigung oder Smalltalk.

SSP: Für Dich ist Minimalismus keine Phase, sondern Du hast ganz konkret eine Entscheidung für Dein ganzes Leben getroffen. Warum hast Du Dich entschlossen, unter diesem Extrem zu leben?

AK: Ich glaube, dass diese Form von Entscheidungen nie Kopfentscheidungen sind. Das ist etwas, wo man innerlich merkt, es geht in diese Richtung und ich erfahre darin meine innere Ordnung. Was nicht heißt, dass man nicht zwischendurch auch mal etwas schmerzlich vermissen kann. Ich hätte zum Beispiel wahnsinnig gerne einen Hund. Aber die Grundausrichtung meines Lebens sehe ich im Ordensleben gegeben. Es bedeutet, nicht verbunden oder verkrallt zu sein in etwas, sondern loslassen zu können.

SSP: Minimalisten wollen keine Zeit und Energie bei sinnlosem Tun verschwenden. Ist auch das Teil des Ordenslebens?

AK: Ich denke, nicht nur Minimalisten, sondern die wenigsten Menschen mögen den Eindruck, dass ihr Tun sinnlos ist. Es gehört aber zum menschlichen Leben dazu, Dinge zu tun, die man nur beschränkt sinnvoll findet wie Kartoffelschälen oder sein Auto zum TÜV zu bringen. Das ist wahrscheinlich auch gut so. Andererseits stimmt es schon, man hat nur ein Leben und das möchte ich nicht vergeuden oder verschlafen oder in Unfreiheiten verbringen oder ständig den Eindruck haben, dass ich es mit etwas anderem verbringen sollte, selbst, wenn es diese Zweifel natürlich auch gibt.

SSP: Wir haben vorhin über die Armut im Ordensleben gesprochen. Du hast aber auch Gehorsam gelobt. Warum eigentlich Gehorsam und gegenüber wem überhaupt? Ist das eine Minimalisierung Deines eigenen Willens?

AK Der Gehorsam gilt erstens und vor allem gegenüber Gott. Für mich ist Gehorsam das Hören auf Gottes Impulse. Er ist eine Befreiung aus dem Funktionieren, läuft also einem alltäglichen Gehorsam zuwider, den Erwartungen anderer und meinen eigenen Ansprüchen. Gehorsam ist für mich damit eine Befreiung des eigentlichen Willens und damit nie eine Reduktion meines eigenen Willens. Der strukturelle Gehorsam innerhalb der Gemeinschaft gegenüber den Oberen ist schon schwieriger. Aber auch diesen muss man vor dem Willen Gottes verorten und sich fragen, ob man sich mit Entscheidungen arrangieren oder sich wehren muss.

SSP: Woher weißt Du denn, was der Wille Gottes ist?

AK: Diese Frage kann man nicht in einem Richtig-Falsch-Koordinatensystem beantworten. Es geht nicht um eine hundertprozentige Sicherheit und natürlich kann man sich auch irren. Der Wille Gottes ist eher ein Empfinden und eine Vertrautheit mit Gott. Biblisch und von der christlichen Tradition her gesehen geht es dabei um die Entfaltung, das Leben und das Wachstum des Menschen, der menschlichen Gemeinschaft und der Liebe als Grundprinzipien. In jedem Menschen gibt es Kräfte, die in die Richtung des eigenen Lebens wirken. Diese können aber durch Ängste oder negative Erfahrungen verstellt sein. Man muss sich selbst kennenlernen, die eigenen Antreiber und Blockaden. Nur wer sich selbst annimmt, kann Zukunft gestalten.

SSP: Würdest Du sagen, dass Du den Sinn des Lebens für Dich gefunden hast?

AK: Ja und Nein. Ich glaube, die Frage nach dem Sinn des Lebens stellt sich immer wieder. Man hat ihn nicht einmal gefunden und aktualisiert ihn dann nur noch. Für mich ist es letztlich die Suche nach Gott. Ich muss ganz ehrlich sagen, dass Glaube auch bei mir immer wieder Brüche erlebt. Glaube, Hoffnung und Liebe sind für mich dennoch die wichtigsten Kräfte des Herzens, die für mich Gottes Gegenwart ausmachen. Die sind für mich auch der Sinn des Lebens.

SSP: Du hast selbst an der WWU gelehrt und kennst viele Studierende, die ein ganz anderes Leben führen als Du. Auch wenn ein Leben unter den Extremen eines Ordens sicher nicht für jeden das Richtige ist: Was wäre ein Rat von Dir an diejenigen, die sich mit unserer Konsumgesellschaft nicht anfreunden können und auf der Suche nach mehr Sinn und Erfüllung sind?

AK: Im Moment haben wir das Problem des Konsums – in ein paar Jahrzehnten können es ganz andere Probleme sein. Ich glaube, man sollte nach dem suchen, was einem Halt und damit auch Haltung gibt. Wenn man zum Beispiel merkt, dass man einfach etwas anderes möchte: Was lässt mich als einmaligen Menschen leben und im Einklang mit mir sein? Für mich hat diese Frage einen klaren Gottesbezug. Halt kann man aber sicher auch in einem anderen Menschen finden, einem Du. Ein reiner Selbstbezug jedoch ist nie genug, das ist für jeden Menschen zu klein. Deshalb auch die Ablehnung des gesteigerten Konsums: Reiner Selbstbezug stimmt unglücklich.

Dieses Interview stammt aus der Ausgabe 435 mit dem Titelthema „Minimalismus“.

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