noise-cancelling aus

ich schreibe darüber, wie es ist, im 21. jahrhundet anfang zwanzig zu sein. wie es ist, sich zwischen krisen, tiktoks und kriegsausbrüchen eine zukunft vorzustellen. wir können alles sein, queer, polyamor, monogam, aber was wollen wir eigentlich? wir können so viel swipen, wie wir wollen, so viele menschen sind nur einen klick von unserem leben entfernt, haben tausend optionen. wir studieren, wir beschäftigen uns mit der welt, wir reisen viel, aber wie fühlen wir uns eigentlich dabei? darum geht es hier. 

ich schalt die kopfhörer auf geräuschunterdrückung. der lärm des alltags verschwindet hinter melancholischer musik. aber die stadt bleibt trotzdem laut. wir wollen alle mittendrin sein. zwischen hochhäusern laufen, je höher, desto besser. keine party verpassen, je größer, desto besser. die nächte lang wach bleiben, den tag verschlafen und zum sonnenuntergang wieder raus. wir wollen uns ins leben stürzen und ganz vorne sein. da, wo die welt neu erfunden wird. da, wo machtstrukturen fast vom techno-bass weggeballert werden. da, wo wir uns trauen, an eine bessere zukunft zu glauben. da, wo wir jeden tag neue menschen kennenlernen, wo uns alle türen  offenstehen. hier ist immer etwas los, je mehr, desto besser. hier gibt es demonstrationen für klimaschutz und gegen sexismus, für queere menschen und gegen rechts. hier schlagen sich die hipster-cafés um den besten cappuccino mit hafermilch, hier bubbeln wir uns ein. wir schauen durch hängepflanzen aus dem fenster, sitzen im glashaus. rosarote brillen schützen unsere verkaterten augen vor der sonne, draußen ist es zu hell. in rosa kann man alice weidel fast nicht erkennen, wir schauen lieber auf hängepflanzen als aus dem fenster. wir malen uns die stadt progressiv und rosa, drehen uns um uns selbst. wir bauen uns unsere alternative realität, wir lernen, diskutieren und denken sie mit. wir können uns die realität aussuchen, in der wir leben. was für ein privileg. 

wir tragen das leid der welt in glänzenden rucksäcken, wenigstens schauen wir nicht weg, so wie die anderen. manchmal brechen wir unter der last zusammen. und dann lernen wir miteinander darüber zu sprechen und uns gegenseitig aufzufangen. vielleicht trauen wir uns eine therapie anzufangen. vielleicht aber auch nicht, weil wir bei all dem lärm und dem licht, keine zeit haben unsere eigenen schatten zu sehen. und dann stürzen wir uns lieber in die schatten anderer. flüchtige swipes, die zu fragilen beziehungen werden, nichts festes, nichts ernstes, aber doch viel zu nah. wir tanzen in den langen nächten mit den schatten anderer, klammern uns an fremde sorgen, um unsere eigenen zu vergessen. vielleicht kennen wir uns nicht für immer und vielleicht geben wir uns gegenseitig nicht die sicherheit, nach der wir uns sehnen. aber wir geben in stillen momenten einen wunden teil von uns selbst preis. wir teilen unser leid mit den letzten zigaretten in der schachtel, bevor wir wieder tanzen gehen. wir sind nicht allein, nicht in diesen momenten. 

aber am ende reicht auch das noise-cancelling der neuesten kopfhörer nicht aus, um uns die ruhe zu geben, nach der wir uns sehnen. nicht inmitten des lärms der stadt. die straßenbahnen sind voll, die cafés sind teuer, unser kopf ist zu laut. wir wollen alle teil von dem lärm sein. dem lärm, in dem eine neue welt entsteht. aber irgendwie müssen wir dabei lernen, auch mal stille zu ertragen, frische luft zu atmen und der sonne beim scheinen zuzuschauen. wir müssen dabei lernen, die hochhäuser hoch sein zu lassen, die partys laut und die optionen unendlich und einfach mal nur zu sein. wir müssen lernen alleine zu sein und nichts zu tun, weil wir sonst unter dem lärm der stadt taub werden. ich schalt die kopfhörer auf transparenz und atme aus.