„Wir sind keine Party-Polizei“

Die Baracke will Grenzüberschreitungen auf Partys verhindern

Bierrallies um den Aasee, Flunkyballturniere und Erstipartys: Das neue Wintersemester wird jedes Jahr gebührend eingeläutet. Aber wo hemmungslos gefeiert wird, werden manchmal auch persönliche Grenzen überschritten. Um feuchtfröhliche Diskriminierungen und Übergriffe zu verhindern, gibt es in der Baracke jetzt ein Konzept, das für eine achtsame Partystimmung sorgen soll.

von Annkathrin Lindert

Laura schaut in den Spiegel und streicht sich die Haare aus dem Gesicht. Der wummernde Bass bringt die Klowände zum Wackeln. Es ist die erste Fete in Lauras neuem Studentenleben. Und die findet sie ziemlich gut: „Nice Party“, schreit sie gegen den Bass. „Auf jeden Fall anders als zu Schulzeiten. Die haben hier sogar so `ne Nummer, die man anrufen kann, wenn dir einer blöd kommt.“, erklärt sie. Dann tanzt sie, gezogen am Arm ihrer Freundin, wieder raus in die Menge. Es ist der 04. Oktober. Ersti-Party der Fachschaft Powi und Soziologie in der Sputnikhalle. Die Stimmung ist gut. Auf der Tanzfläche ist es eng, schwitzende Körper kleben aneinander, bewegen sich zusammen zum Beat. Neue und alte Studierende sollen sich hier kennenlernen, gemeinsam Bier trinken, tanzen, Spaß haben – und sich dabei sicher fühlen. Denn auf der Tanzfläche verschieben sich zwar Abstände zwischen Körpern, aber nicht automatisch auch persönliche Grenzen.

Das Awareness-Konzept ist ein Angebot, keine strenge Hausordnung.
Bild: flickr,Pot_au_Lait
(Symbolbild)

Deshalb  kleben an den Säulen am Eingang der Halle, auf dem Klo in der Baracke und neben dem Pizzastand Zettel, die auf ein „Awareness-Team“ hinweisen und eine Nummer, die man anrufen kann, wenn man sich nicht mehr wohlfühlt.  Die Plakate sind Teil des Awareness-Konzepts, das die Fachschaft in diesem Semester zum ersten Mal in der O-Woche eingeführt hat und das in Zukunft auch Teil jeder anderen Veranstaltung in der Baracke sein soll. Awareness, das bedeutet Bewusstsein, Achtsamkeit. Aber in dem Fall nicht für die eigene spirituelle Selbstfindung, sondern die für seine Mitmenschen und für die Stimmung auf der Party. „Wir wollen eine Atmosphäre schaffen, in der sich jede*r wohlfühlt, unabhängig vom Aussehen oder der sexuellen Orientierung. Einen Raum frei von Diskriminierung.“, erklärt Johanna. Sie ist in einem Arbeitskreis, den die Fachschaft neu gegründet und der das Awareness-Konzept ausgearbeitet hat.

Keine Hausordnung

Das setzt ein klares Zeichen: „Sexistische, rassistische, homo-, trans*feindliche, ableistische oder vergleichbare Übergriffe werden nicht toleriert“, heißt es im Konzept für die O-Woche. Diskriminierungen würden klar als solche benannt und „ebenso deutlich wird einem solchen Verhalten entschlossen entgegengetreten.“ Dafür bleiben auf jeder Party zwei Menschen nüchtern und jederzeit ansprechbar. Sollte es zu diskriminierendem Verhalten kommen, bietet das Team einen Rückzugsraum für betroffene Personen und sucht gemeinsam nach Lösungen. Die können von einem klärenden Gespräch, über das Bestellen eines Taxis bis hin zum Rauswurf einer bestimmten Person führen. Das hängt davon ab, was die betroffene Person möchte. Das Awareness-Konzept ist ein Angebot, keine strenge Hausordnung. Zusätzlich hängt in der Baracke ein offener Briefkasten und die Fachschaft hat eine E-Mail-Adresse eingerichtet, an die sich Betroffene auch unabhängig von Veranstaltungen wenden können. Auch am Morgen nach der Party will die Fachschaft Ansprechpartner bleiben.

Awareness-Konzepte wie das in der Baracke gibt es immer häufiger. Auf Events der queer-feministischen Szene sind Ansprechpartner*innen und Rückzugsorte Standard. Das neu gegründete Münsteraner Frauen*Kollektiv zum Beispiel, das sich für FLTI*-Rechte einsetzt, organisiert keine Veranstaltung mehr ohne Awareness-Konzept. Für sie beginnt Awareness sogar schon vor der Party. Die Gruppe achtet zum Beispiel darauf, dass die Toiletten nicht nach den herkömmlichen, binären Geschlechterkategorien -also weiblich und männlich- getrennt, sondern für alle offen sind.

Das Bewusstsein für sexuelle Übergriffe auf Partys kommt aber auch in der Mitte der Gesellschaft an. Wer schon einmal auf dem Klo einer Bar auf der Jüdefelder saß, weiß, dass der Satz „Luisa ist hier“ einen Ausweg aus unangenehmen Situationen bietet. Auch das ist ein – abgespecktes – Awareness-Konzept.

So richtig die Intention, Zweifel bleiben

 Im Konzept der Fachschaft heißt es: „Wenn Personen einen Pegel erreicht haben, der es ihnen nicht mehr ermöglicht vernünftig an der Party teilzuhaben (…), schickt sie nach Hause“.

Aber wer schon öfter am Aasee gefeiert hat weiß: Die Baracke ohne Hansa ist wie Münster ohne Regen. Auch auf Fachschaftspartys fließt viel Alkohol. Wer entscheidet, ab wann ein Pegel „unvernünftig“ ist?

Wird die Fachschaft zur Party-Polizei? „Auf keinen Fall“, sagt Johanna. „Bei uns läuft keiner mit erhobenem Zeigefinger rum und hört in Gespräche rein oder so. Es geht vielmehr darum, ein Bewusstsein für das richtige Maß im Umgang mit anderen Partygästen zu schaffen“.

Opferschutz

Die Diskussion um das richtige Maß an Awareness wird damit auch zu einer Debatte um die Definition von persönlichen Grenzen. Nicht selten schwingt in der Kritik an den Konzepten Angst vor einer Instrumentalisierung mit. Wer keinen Bock auf ein unangenehmes Zusammentreffen mit dem/der Ex hat, beschwert sich über eine persönliche Grenzüberschreitung und lässt ihn/sie rauswerfen, so einfach. Awareness-Konzepte stehen nämlich immer auf der Seite des mutmaßlichen Opfers. „Betroffene werden unterstützt und respektiert“, schreibt die Fachschaft. Auch das Konzept des Frauen*-Kollektives positioniert sich klar auf der Seite der Betroffenen. Damit Awareness funktioniert, muss sie parteiisch sein.

„Und das ist auch gut so“, findet Veronika. Sie ist Mitglied des Kollektivs. Die Gruppe hat sich intensiv mit der Anwendung ihres Konzeptes auseinandergesetzt. Veronika findet: „Die Definitionsmacht über meine eigenen Grenzen liegt immer bei mir selbst. Deshalb nehmen wir jeden noch so kleinen Vorfall sehr ernst.

„Im Zweifelsfall ist es uns lieber, eine Person verlässt unsere Party, als dass sich jemand bei uns nicht mehr sicher fühlt.“

Sie habe Vertrauen, dass das Konzept der Gruppe nicht missbraucht werde, sondern zu einem achtsameren Klima auf ihren Veranstaltungen beiträgt. Außerdem seien die Ansprechpartner*innen ja auch immer mit auf der Party und könnten die Stimmung deshalb gut einschätzen.

Die Gefühle der Partygäste ernst zu nehmen, bedeutet aber gleichzeitig  in hoch emotionalen Situationen Verantwortung zu übernehmen. Zwar hat weder das Konzept in der Baracke noch das des Frauen*-Kollektivs den Anspruch, fundierte psychologische Hilfe zu leisten. Dennoch ist das Awareness-Team oft der erste Ansprechpartner in Notfällen, zum Beispiel bei einem sexuellen Übergriff. Nicht jede*r traut sich diesen  Job zu. „Niemand muss Awareness-Dienst schieben“, erklärt Johanna von der Fachschaft. „Wir machen das ja freiwillig, niemand hat hier eine psychologische Ausbildung. Wir verstehen uns vielmehr als erste Anlaufstelle und vermitteln bei Bedarf weiter.” Denn nur wer auch seine eigenen Grenzen kenne, könne helfen, die anderer zu sichern.

Prävention statt Aktion

Zu einem wirklichen Notfall ist es seit es das Konzept gibt weder in der Baracke noch beim Frauen*-Kollektiv gekommen. Und das liegt nicht nur daran, dass beide Veranstalter eventuell ein ohnehin sensibilisiertes Publikum anziehen. Auch in der Baracke lagen schon fremde Hände  auf anderen Körpern. Gerade weil es oft um ziemlich intime Verletzungen geht, ist die Hemmschwelle, das Angebot zu nutzen, hoch. „Ich weiß nicht, ob ich mich wirklich beim Awareness-Team melden würde. Das kostet schon Überwindung“, überlegt Laura auf der Party in der Sputnikhalle. „Aber allein die Möglichkeit zu haben ist schon ein gutes Gefühl.“ Vielleicht musste das Awareness-Konzept auch deshalb noch nicht aktiviert werden, weil es überhaupt existiert. Johanna erzählt, dass sich während der O-Woche insbesondere FLTI*-Menschen durch das Konzept sicherer gefühlt hätten. Und auch Laura bewegt sich in der Sputnikhalle jetzt ein bisschen bewusster über die Tanzfläche. „Man hält einfach für einen Moment inne und denkt nach: Über die eigenen Grenzen und die der andern“, sagt sie und schmiegt sich tanzend im Takt der Musik in die Arme ihrer Freundin.

 

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