Die Nightline

Die Universität Essex in Großbritannien initiierte bereits 1970 ein Zuhörtelefon für die vermehrt von Stress und Angst geplagten Studierenden – die Nightline. Seit 2007 gibt es so eine Hotline auch in Münster. 

„Wir sind Studierende. Wir haben ein Ohr und wir hören zu”, beginnt Yannick Janßen, Pressesprecher der Nightline Münster. Für ihn ist es ein Ehrenamt: „Ich wollte sehen, was ich erreichen kann und ich wollte Menschen helfen.“ Andere Zuhörer studieren nicht selten Psychologie, haben ein Seminar zur Telefonberatung belegt und wollen jetzt Praxiserfahrung sammeln.  

Die Nightline ist für alle da

Jeder, der an einer Hochschule eingeschrieben ist und mindestens ein Semester in Münster studiert hat, darf bei der Nightline mitarbeiten. Das hilft den Ehrenamtlichen sich besser in die Probleme der Anrufenden einfühlen zu können – denn meist sind die Gespräche studienbezogen.
Viele erzählen von Prüfungsstress, Studiengang- oder Ortswechsel, danach erst geht es um Zwischenmenschliches.  

Dabei stammt ein Großteil der Anrufe von Männern. Yannick erklärt das durch festgefahrene Geschlechterrollen. „Ich denke, dass Männern gesellschaftlich untersagt wird, über ihre Probleme zu sprechen. Über ein anonymes Angebot kann man den Gesprächsbedarf ohne soziale Konsequenzen ausgleichen.” 

Wochentags um 21 Uhr öffnet die Nightline ihre Leitungen. An zwei Telefonen sitzen dann die Nightliner:innen und warten auf Anrufe. 

„Es dauert, bis ich weiß, warum die Personen anrufen”

Wichtig ist nicht nur das Problem, sondern auch die Motivation sich überhaupt bei der Nightline zu melden. „Manche haben ein konkretes Problem, andere wollen sich einfach nur auskotzen.“ Dann hört Yannick zu: „Denn in erster Linie ruft das Gegenüber an, um selbst zu sprechen und nicht damit wir etwas erzählen.” Ratschläge können dann kontraproduktiv sein.
„In der Regel geben wir wenig bis gar keinen Input, sondern stellen Fragen, um die Person zu einem zufriedenstellenden Ergebnis zu führen.” Das hilft dem Gegenüber, die Gedanken zu strukturieren. So schafft die Nightline einen Raum, um sich Bedrückendes von der Seele zu reden, ohne damit das direkte Umfeld belasten zu müssen.  Anonymität gehört zu den fünf Grundsäulen der Nightline. Dazu zählen zudem Vertraulichkeit, Vorurteilsfreiheit, Unabhängigkeit und Niederschwelligkeit.  

„Wir wissen nichts über die Anrufer” 

Das ist für beide Seiten wichtig. „Ich persönlich würde bei so einem Angebot nicht anrufen, wenn ich wüsste: da sitzt meine Mitbewohnerin am Telefon.” Deswegen möchte die Nightline vermeiden, Fotos der Mitarbeiter:innen zu veröffentlichen: „Wir möchten die Hürde so gering wie möglich halten, sodass es einfach ist anzurufen und aufzulegen.” Auch geht es darum, das Ehrenamt und Privatleben klar trennen zu können. 

Eine Stunde nach Mitternacht klicken die Leitungen und ein Piepton ist zu hören. Fünfzehn Minuten vorher kündigen die Nightliner:innen das Ende ihrer Schicht an. Ausnahmen gibt es nicht. Auch wenn das Gespräch sich an einem kritischen Punkt befindet, müssen klare Grenzen gewahrt werden. Falls noch Redebedarf besteht, leiten sie an die Telefonseelsorge Münster weiter, denn die ist rund um die Uhr erreichbar. „Wir stellen kein Konkurrenzangebot dar“, betont Yannick, „wir haben eine sehr spezielle Sparte und sind keine ausgebildeten Berater:innen.“ In erster Linie sind sie Studierende mit Ehrenamt und können keine professionelle psychologische Hilfe gewährleisten. „Es ist uns wichtig das transparent zu machen, um falsche Erwartungen zu vermeiden.“ 

Im Semester gibt es Fortbildungen mit unterschiedlichen Themengebieten. In Rollenspielen werden wiederkehrende Fälle nachgestellt, sodass jeder einmal in die Position kommt, damit umgehen zu müssen. Gleichzeitig gibt es Feedback aus der Gruppe. Es finden Workshops und Vorträge zu Themen wie Prüfungsstress oder Depressionen bis hin zum Umgang mit Liebeskummer statt. Nach Yannicks Erfahrung profitieren die Mitarbeiter:innen vor allem von den Supervisionen. Auf die derzeit vierzig Münsteraner entfallen im Semester vier bis sechs Dienste. Umso wichtiger für den Lernprozess seien die Nachbesprechungen. So lassen sich in einem geschützten Raum Erfahrungen, Themen und Verfahrensweisen teilen. 

Manchmal sind die Nightliner:innen für ein Gespräch nicht qualifiziert

 „Wenn wir das Gefühl haben jemand braucht professionelle Hilfe, versuchen wir an die richtigen Stellen weiterzuleiten.“ Zum Beispiel an die Psychotherapie-Ambulanz (PTA), das KCM Schwulenzentrum Münster oder auch die Studienberatung für konkrete Fachfragen. 

Extremfälle gibt es. Auch für suizidale Anrufende werden die Nightliner:innen explizit geschult. Falls nötig, steht ihnen ein Leitfaden zur Verfügung, um die bestmögliche Hilfe zu leisten. Das ist wichtig, „damit wir sichergehen können richtig gehandelt zu haben und um die Situation zu vermeiden: der Gesprächspartner hat aufgelegt und was ist dann passiert?“ 

 

Dieser Artikel stammt aus der aktuellen Ausgabe des Semesterspiegels (#438). Weitere Inhalte findet ihr exklusiv nur im Heft (PDF).

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