Im Rahmen des Projekts ‚outside | inside | outside‘ der Veranstaltungsreihe „Literatur und Psychiatrie“ des LWL wird zur Zeit ein ,wahnsinnig’ gutes Stück aufgeführt.
Nehmen wir einmal an, jeder Mensch hätte einen Raum im Kopf, der uns als Schauplatz unserer Gedanken diente. Die Zufriedenheit, die uns ein aufgeräumtes WG-Zimmer verschafft, lässt erahnen: Dieser Raum sollte am besten ebenso ordentlich sein. Aber was, wenn unsere Gedanken wie schmutzige Wäsche auf dem Boden verstreut lägen oder ein zweiter oder dritter Raum dem eigentlichen Ort unseres Bewusstseins Konkurrenz machten? Die psychiatrische Fachwelt kann solchen Phänomenen einen Begriff überstülpen, sie als Krankheiten des Geistes entlarven und ihnen Titel wie ‚Depression‘ oder ‚Schizophrenie‘ verleihen. Wieviel aber dadurch gewonnen ist, sich Ausnahmesituationen der menschlichen Psyche von erzählerischer Seite zu nähern, zeigt das Theaterstück „Im Strom“, das momentan in der Studiobühne aufgeführt wird.
Den Figuren gespielt von Lena Bodenstedt, Paula Berdrow, Marion Bertling, Julius Kuebart und Uwe Rasch (v. links n. rechts) wird buchstäblich der Boden unter den Füßen weggezogen.
Eine Collage verschiedener Texte von Autor:innen z.B. aus psychiatrischen Anstalten, aber auch von Berühmtheiten wie Franz Kafka, schaffen ein fast schon rundes Bild von der „zitternden Grenze zwischen dem gewöhnlichen Leben und dem scheinbar wirklichen Schrecken“ (F. Kafka). In fünf verschiedenen Bildern, die vielleicht manchmal ein wenig schwer zu differenzieren sind, erzeugen die Darstellenden des Ensembles ‚theater en face‘ ein Kunstwerk, das den Zuschauenden schwerlich kalt lässt. Manche Texte animieren dabei zum Lachen, andere laden zum ausgeprägten Mitgefühl ein und wieder andere für etwas zwischen beidem.
Die Darstellerin Lena Bodenstedt im medizinischen weiß und Uwe Rasch als geplagter Erzähler seiner chaotischen Gefühlswelt.
Das minimalistische Bühnenbild lenkt die Aufmerksamkeit des Publikums dabei gänzlich auf die Erzählungen, Tänze oder auch Chorstimmen, die abwechslungsreich in Szene gesetzt werden. Lediglich im Hintergrund hängende Arztkittel mahnen den oftmals pathologischen Charakter des Erzählten an. Zugeordnet werden die Autor:innen den einzelnen Texten zu Recht nicht, vermittelt das entstehende Textgewebe doch als Ganzes eine vielschichtige Sicht auf das Leben fernab des ‚Normalen‘. Gebannt hört und sieht der:die Zuschauende, wie es ist, wenn zum Beispiel die eigene Hand zum Kampf herausgefordert wird, Heiner Lauterbach vor Einbrechern beschützt werden muss oder die zweite Persönlichkeit muttersprachlich Englisch beherrscht. In die Komik so mancher Erzählungen mischt sich dazu auch Tragik, wenn die erzählende Person den eigenen Kontrollverlust über den Geist zu reflektieren vermag. Auswege, dem Strom der Gedanken zu entkommen, werden aber ebenso dargeboten. Einer zum Beispiel durch das Stück selbst – das Erzählen. Wer sich offen zeigt, der wird bei diesem Stück mit neuen Perspektiven, eindrücklichen Bildern und guter Unterhaltung belohnt.