„Früher war jeder Tag in Deutschland ein verschwendeter Tag“

Vor zwei Jahren stolperte ich in einer Buchhandlung über das Buch „Boarderlines“ von Andreas Brendt und war schon nach den ersten Zeilen hin und weg. Ich konnte die Wellen förmlich rauschen, die Moskitos summen hören und all die Zwiespälte, die im Buch beschrieben werden, voll und ganz nachempfinden. Andreas, mittlerweile 42 Jahre alt und Berufschullehrer in Köln, hat Volkswirtschaft sowie Sportwissenschaft studiert und wurde bereits während seines Studiums, 1996, mit dem Reise- und Surfvirus infiziert. Um mit Familie und Freunden Kontakt zu halten, begann Andi mit dem Schreiben kleiner Reiseberichte, die er per Mail in die Heimat schickte. Aufgrund der positiven Rückmeldungen entstand kurze Zeit später die Idee, ein Buch zu schreiben. Diesen Wunsch setzte er 2011 dann schließlich in die Tat um. Ich habe mit Andreas darüber gesprochen, was er mit Fernweh verbindet und was er dagegen tut.

SSP: Das Thema des Semesterspiegels ist „Fernweh“. Was kommt dir als erstes in den Sinn, wenn du daran denkst?

AB: Das ist so ambivalent. Fernweh ist einerseits ein Stück weit schmerzhaft, weil man etwas vermisst, man wünscht sich etwas so sehr und kann es aber nicht direkt kriegen. Aber es steht für mich auch in direktem Zusammenhang mit Vorfreude, weil ich mir natürlich – wenn das Fernweh kommt –auch Gedanken mache, wo es als nächstes hingeht und dann bekomme ich direkt Vorfreude, wenn die Reiseplanung losgeht.

SSP: Was sind deine Tipps gegen Fernweh, wenn du gerade nicht weg kannst?

AB: Ich versuche mich an meine Neugierde zu erinnern und die Absurditäten, die es auch in Deutschland gibt, irgendwie mit Heiterkeit und Neugierde zu betrachten. Und wenn man den Alltag eben wie ein Abenteuer auf Reisen betrachtet, dann kann das auf einmal total lustig werden. Das Abenteuer ist überall, man muss nur seine Einstellung anpassen. Natürlich fällt das auf Reisen leichter – deswegen reisen wir alle so gern.

SSP: Was nimmst du persönlich von deinen Reisen mit? Warum reist du?

AB: Auf Reisen bin ich immer sehr offen und neugierig, jeder Moment ist faszinierend und anders. Das versuche ich mir für zu Hause zu bewahren. Es ist wie ein Heilmittel gegen die Routine und den sich immer wieder einstellenden Alltagstrott. Ich finde am Reisen toll, dass man andere Kulturen kennenlernt und sieht, wie unterschiedlich die Lebenskonzepte in der Welt aussehen. Das nimmt ein bisschen den Druck, deutschen Konventionen entsprechen zu müssen, weil eigentlich gar nichts „normal“ ist. Darüber hinaus erkennt man, dass die Menschen in der Welt alle herzoffen und lieb sind. Es wird so viel über Krieg und Terroristen gesprochen, aber ich habe in über zwanzig Jahren nur eine einzige nicht so schöne Erfahrung gemacht. Alle anderen Menschen waren traumhaft. Das heißt, Reisen verändert dein Weltbild – im Vergleich zu dem, das einem von den Medien vorgegaukelt wird.

SSP: Du beschreibst in deinen Büchern ja öfters Konflikte und Zwiespälte, die das Leben so mit sich bringt, auch das Hin-und-Hergerissen-Sein zwischen die ganze Welt bereisen wollen einerseits und einen guten Job zu haben, finanziell abgesichert zu sein, andererseits. Nun bist du seit einigen Jahren wieder in Deutschland und arbeitest hier. Wird das besser?

AB: Ich kann nur für mich sprechen. In meinem Fall ist es viel besser geworden. Früher fühlte sich jeder Tag in Deutschland an wie ein verschwendeter Tag. Mittlerweile reise ich gar nicht mehr so gerne so richtig lange, sechs Monate am Stück sind mir schon fast zu viel – aber dafür war sehr viel Reisen nötig. Jetzt ist es gerade ertragbar mit den drei Monaten Ferien, die ich habe. Alle zwei Jahre darf ich zudem ein Sabbatjahr machen, das ist echt eine schöne Kombination. Also an alle da draußen, die denken, dass das nie aufhört, es wird ein bisschen besser.

SSP: Wohin ging denn deine erste Reise?

AB: Die erste richtige Reise ging nach Bali, 1996, und das war der Startschuss. Von dort sind wir weiter gereist nach Australien und dann gab es kein Halten mehr. Reisen und das Wellenreiten haben mich so fasziniert, dass ich zehn Wochen nach meiner Rückkehr schon wieder im Flugzeug saß. Dann war Südafrika dran und ich war gefangen in dieser neuen wundervollen Welt.

SSP: Die erste Welle, die du gesurft bist, war auch auf Bali?

AB: Genau, einfach mal ausprobiert. Dann sind wir ganz viel durchgewaschen worden und haben Unmengen Wasser geschluckt. Auch wenn ich es nicht sofort hinbekommen habe mit dem Surfen, war es ein riesen Spaß und vielleicht schon die erste große Lehre: Es kommt nicht darauf an, was man erreicht, sondern auf die Lebendigkeit während man es versucht. Ich musste auch erst einmal lernen, dass es okay ist, nicht ins Wasser zu gehen, wenn mir die Wellen zu groß sind. Denn ja, man darf auch mal einen Rückzieher machen und eigentlich müssen wir gar nichts.

SSP: Du bist schon früh sehr weit und oft gereist. Gab es Momente, in denen beispielsweise deine Eltern oder auch Freunde Unverständnis geäußert haben à la „musst du denn schon wieder weg?“

AB: Ich glaube, sie hätten sich ein bisschen was anderes gewünscht, aber ich habe immer versucht, meine Reisen mit guten Noten ein Stück weit zu legitimieren. Ich habe auch nicht so viele Praktika gemacht und mir eher gedacht, „dann studier’ halt einfach gut, damit du nicht ganz verloren bist, wenn du mal ein normales Leben willst“. Damit habe ich versucht, meine Eltern auch zu beruhigen. Die haben jetzt nie gesagt, dass ich zu Hause bleiben soll. Sie wussten, ich werde meinen Weg schon irgendwie gehen und waren ziemlich gelassen, fast unterstützend würde ich sagen. Da bin ich auch sehr dankbar für.

SSP: Welche Orte sollte jeder einmal gesehen haben?

AB: Da könnte ich fast jedes Land der Erde nennen. Jeder Ort übt eine ganz eigene Faszination aus. Machu Picchu in Peru ist zum Beispiel als Sehenswürdigkeit ganz toll. In Sri Lanka wohne ich häufig bei einer Familie, da genieße ich das authentische Leben mit den Locals. Ich bin jedes Jahr einmal in Mexiko, da wohne ich bei Cico und seiner Familie, das ist wie ein zweites Zuhause für mich geworden und das ist auch ein mega entspannter Ort – Rio Nexpa – das kann ich nur jedem empfehlen. Indonesien, egal wohin ich fahre, überall dort ist Zauber …

SSP: Ich habe immer mehr den Eindruck, dass Reisen zu einer Art Verpflichtung wird, immer weiter, immer besser. Wie siehst du das?

AB: Ja total! Also immer weiter, immer mehr, immer extremere Formen des Reisens und das ist eine der gedanklichen Fallen, denen wir immer unterlegen sind. Ähnlichen Druck empfinde ich als Reiseschriftsteller. Ich glaube, das ist etwas ganz Normales, dass unser Kopf uns diese Art von Streich spielt. Das Wichtige ist, dass man das bemerkt und das macht, was einem wichtig ist. Entweder das, oder man nimmt die Competition an: Weiter! Schneller! Höher! Da muss jeder ein bisschen gucken, was ihn mit Lebendigkeit versorgt. Der Spaß darf nur nicht verloren gehen.

Wer mehr über Andreas Brendt und seine Bücher erfahren möchte, erhält weitere Informationen auf seiner Website www.boarderlines-buch.de.

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