„In Deutschland gibt es immer noch eine Behörde mehr, die Post schicken möchte“

Interview mit Niklas Grotjans, Spitzenkandidat der Liberalen Hochschulgruppe

Die Forderung, sich bis 48 Stunden vor Beginn einer Prüfungsleistung an- und abmelden zu können, klingt ein wenig nach einfachem Stimmenfang. Ist das wirklich im langfristigen Interesse der Studierenden oder wird nicht vor allem Prokrastination gefördert?

Wir sind der Meinung, dass das Studium grundsätzlich ein Selbststudium ist. Jeder und jede ist für sich selbst verantwortlich. Für uns ist besonders wichtig, dass man in Krankheitsfällen, gerade jetzt in der Pandemie, wenn man zum Beispiel unter Corona leidet, flexibel sein kann. Dass man sein Studium selbst in der Hand hat und weiß, wie gehe ich weiter vor, ich muss nicht ein Semester auf die nächste Klausur warten, sondern habe die Fäden selbst in der Hand.

Was steht hinter der Forderung, Vorlesungen langfristig auch online zur Verfügung zu stellen? Habt ihr gar keine Sehnsucht nach vollen Vorlesungssälen und Echtzeit-Diskussionen mit Dozierenden?

Uns ist der Austausch nach wie vor sehr wichtig; es ist wichtig, Leute zu sehen und Kontakt mit Kommiliton:innen weiter zu suchen. Aber es gibt immer Situationen, in denen das nicht möglich ist. Es gibt viele an der Uni, die sich das Studium selbst finanzieren müssen, die Eltern sind oder sich um gefährdete Gruppen kümmern müssen. Und das kollidiert dann häufig mit den Vorlesungszeiten. Für diese Studierenden wollen wir ermöglichen, dass sie das Studium vollumfänglich genießen können, auch wenn sie nicht immer in Präsenz anwesend sind.

Linsen-Lasagne und Pilz-Risotto scheinen nicht so euer Ding zu sein – ihr fordert mindestens eine fleischhaltige Mahlzeit im Hier & Jetzt und das jeden Tag. Sind die Preissteigerungen der Mensen im Moment nicht für den Großteil der Studierenden viel drängender?

Das Angebot in den Mensen ist uns nicht so wichtig wie der Preis der Gerichte, aber über den Preis können wir im Studierendenparlament leider nicht abstimmen. Deswegen wollen wir das angreifen, was wir ändern können: Wir sind der Meinung, dass man in allen Mensen für alle Studierenden ein vollumfängliches Angebot schaffen sollte und da gehört unserer Meinung nach auch Fleisch und Fisch dazu.

Ihr fordert die Verfügbarkeit von diversen Autor:innen aus aller Welt, um verschiedenen Weltanschauungen Platz zu bieten. Welche Weltanschauungen sind denn momentan im universitären Kontext unterrepräsentiert?

Wir sind liberal, also freiheitlich. Wir sind dafür, dass alle Weltanschauungen, die im Einklang mit der deutschen Verfassung stehen, einen Platz an der Uni haben. Wir sind der Meinung, dass man Vorurteile weglassen und alle Weltanschauungen thematisieren sollte, wenn Leute an der Uni sind, die diese Anschauung repräsentieren und dafür einstehen.

Warum werbt ihr für ein Studium generale?

Ich und auch meine Mitstreiter:innen der LHG kennen es, dass man nach der Schule, der Ausbildung – es gibt ja viele Wege zur Uni – nicht wirklich sicher ist, was man machen möchte. Ein Studium generale könnte ermöglichen, dass man in verschiedene Bereiche hineinschauen und etwas finden kann, das wirklich zu einem passt und nicht ins kalte Wasser springen muss.

Du hast dich als DJ selbstständig gemacht. Welche Erfahrungen als Gründer kannst du mit in die Hochschulpolitik einfließen lassen und was hat dich die Selbstständigkeit gelehrt?

Es hat mich auf jeden Fall gelehrt, dass es in Deutschland immer noch eine Behörde mehr gibt, die Post schicken möchte. Es hat mich gelehrt, dass die digitale Welt in der deutschen Bürokratie noch überhaupt nicht angekommen ist. Und was es mich für die Hochschulpolitik lehrt, ist, dass ich auf Details achte und vielleicht auch durch meine Erfahrungen mit Kund:innen gut einschätzen kann, was Leute wollen, auch wenn sie es nicht ausdrücken können.

Schreibe einen Kommentar