Rezension: „Die Entführung des Optimisten Sidney Seapunk“

„Die Entführung des Optimisten Sidney Seapunk“ handelt davon, wie sich endlich etwas ändern könnte. Das ehemals euphorische Aussteigertum der Althippies auf dem Sonnenhof ist in der ernüchternden Realität angekommen. Nur der Optimist Sidney Seapunk hat die Hoffnung noch nicht aufgegeben. Von seinem Versuch, die Welt gleich im großen Stil zu verbessern, erzählt Andreas Stichmann in seinem neuen Buch.

Die Szenerie
Bibi, das Punkmädchen, muss Sozialstunden auf dem Sonnenhof ableisten. Alleingelassen von ihrer trinkenden Mutter, auf der Flucht vor dem Sozialamt, findet sie hier, am Rande Hamburgs neben der A 23, Zuflucht bei einem denkbar bunten Haufen vermeintlicher Idealisten.

Allen voran ist da Ramafelene. Der Sohn von Inge, des letzten verbliebenen Gründungsmitglieds, schmeißt den Sonnenhof inzwischen. Während Inge sich depressiv in ihrer Hütte verkriecht, hat Ramafelene alle Hände voll zu tun. Es gilt das Ladencafé zu bewirtschaften, die Gärten zu beackern und sich um die Tiere zu kümmern. Von der einstigen Idylle ist wenig übrig. Dass Bibi ihm zugeteilt wurde, ist der einzige Lichtblick in seinem Alltag.

Von den anderen Bewohnern ist wenig Hilfe zu erwarten. Kawümi ist nicht der hellste und verbringt seine Zeit am liebsten mit seinem Metalldetektor oder damit, durch die benachbarten Industriegebiete zu streifen und verwertbares Zeug zu sammeln. Ludwig ist alt, dement und mäht höchstens den Rasen. Wendy kümmert sich mit Vorliebe um ihre Vogelscheuche. Sie ist enttäuscht, dass Ludwig ihre Gefühle nicht erwidert, obwohl sie ihm doch ständig ihre selbstgehäkelten Deckchen schenkt.

Sidneys optimistischer Plan
In diesen bunten Haufen platzt nun Sidney Seapunk. So nennt sich David van Geelen in seiner Eigenschaft als Vordenker, Weltverbesserer und Revolutionär. Er will etwas in Bewegung bringen: Gegen die globale Ungerechtigkeit, die Absurdität des Kapitalismus, der Zerstörung der Erde durch den westlichen Lebensstil. Sein Plan soll, dank moderner Medien, die Geburtsstunde einer weltweiten Initiative sein.

Bevor allerdings die ganze Welt verändert wird, krempelt Sidney vorerst nur das Leben auf dem Hof um. Er zieht, zum Missfallen Ramafelenes, mit seinen großen Visionen Bibis Aufmerksamkeit auf sich und stattet kurzer Hand die Bewohner mit Fair-Phones und Fair-Tablets aus. Das Geld hat er, denn er stammt aus einer reichen Familie.

Hier setzt der Plan an. Sidney will seinem Bruder, der das väterliche Unternehmen weitergeführt hat, seine eigene Entführung vorgaukeln, um Geld zu erpressen. Er plant, sich danach der Polizei zu stellen, das Geld aber vorher öffentlichkeitswirksam zu spenden. So käme die Bewegung ins Rollen und der Bruder wäre immer noch nicht arm.

Ein optimistisches Buch?
Es ist in Stichmanns Erzählung ein bisschen wie bei Robin Hood. Sidney geht es um das große Ganze und es wirkt, als sei die Geschichte ein kleines Experiment. Doch keines, das große Hoffnung weckt. Für das richtige Leben im Falschen gibt es anscheinend zwei Optionen: Die erste, der Rückzug aufs Land, das Aussteigerleben auf dem Sonnenhof, ist schon gescheitert, bevor die Geschichte überhaupt beginnt. Die zweite, die Welt zu verändern, geht auch schief. Denn das vermeintliche Verbrechen ohne Opfer läuft alles andere als glatt. Sidneys Bruder kommt keineswegs glimpflich davon, Bibi macht sich mit der Hälfte der Beute aus dem Staub und die Welt ist kein Stück besser als zuvor.

„Die Entführung des Optimisten Sidney Seapunk“ ist daher mitnichten ein optimistisches Buch. Vielmehr ist es ein ernüchterndes, ja irritierendes Werk. In kurzen Kapiteln schildert Stichmann jeweils aus der Sicht der einzelnen Bewohner die eigenartigen Geschehnisse und wechselt leichtfüßig die Stile. Ausgesprochen heiter mutet seine Sprache im Gegensatz zur Handlung an, das kurze Buch liest sich in rasanter Geschwindigkeit. Die Story ist alles andere als vorhersehbar, doch der Funke will trotzdem nicht so recht überspringen.

Leichte Lektüre
Zwar gelingt es Stichmann mit seiner maßvollen Sprache und liebevollen Schreibe, eine kuriose, schräge und wahrhaft witzige Situation zu zeichnen, doch die große Überraschung fehlt. Anstatt zu gipfeln, verpufft die Spannung. Zwischen Anstieg auf Abfall der Spannungskurve fehlt die Mitte. Natürlich braucht ein gutes Buch nicht notwendig ein Happy End, doch das Missglücken von Sidneys Plan kommt doch arg lapidar daher. Während die Szenerie auf dem Sonnenhof in großartiger Weise aufgebaut wird, läuft die Geschichte letztlich recht unspektakulär aus.

Somit ist „Die Entführung des Optimisten Sidney Seapunk“ zweifellos eine tolle Geschichte. Aber große Literatur, die neue Perspektiven eröffnet, ist das Buch leider nicht. Wer eher leichte Kost kombiniert mit schöner Schreibe mag, wird an ihr jedoch bestimmt Gefallen finden. Fazit: Ein leichtes Büchlein für Zwischendurch.

„Die Entführung des Optimisten Sidney Seapunk“ von Andreas Stichmann ist im Rowohlt Verlag erschienen und für 19,95  Euro im Handel erhältlich.

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