„Wenn man sich kennt und schätzt, verzeiht man mehr.“

Interview mit den ersten Nachtbürgermeister:innen Münsters

Was machen Nachtbürgermeister:innen überhaupt?

Lisa: Erstmal würde man vielleicht denken, wir arbeiten nur nachts – ist aber gar nicht so, tatsächlich ist sehr viel Büroarbeit dabei. Wir sind Vermittler:innen und Knotenpunkt zwischen allen Akteur:innen der Nacht – unfreiwillig oder freiwillig. Sowohl die Club- und Kneipenszene als auch die Nachbar:innen, die schlafen wollen, gehören dazu. Auch mit der städtischen Seite, also Ordnungsamt und Polizei, arbeiten wir natürlich eng zusammen.

Manuel: Es gibt eben unterschiedliche Sprachen, die Gastronomie- und die Verwaltungssprache. Wir erklären der Verwaltung die Anliegen der Gastronomie und umgekehrt.

Ein bisschen wie Dolmetscher:innen also!

Manuel: Genau. Wir finden es neben dieser Vermittlungsarbeit auch wichtig, Projekte zu fördern, die das Nachtleben schöner und sicherer  machen. Ein Pilotprojekt könnte beispielsweise sein, dass es mehr Buslinien gibt, damit alle gut nach Hause kommen können und nicht betrunken aufs Rad steigen.

Lisa: Es gibt einmal das aktuelle Tagesgeschäft, bei dem es vor allem um Vermittlung geht, und längerfristige Projekte. Bei denen finden wir durch viele Gespräche und Umfragen heraus, was man in Münster noch brauchen könnte.

Fallen auch Themen wie gefährliche Alkohol- und Drogenexzesse oder die nächtliche Sicherheit von Frauen in euren Arbeitsbereich?

Lisa: Auf jeden Fall! Wir sind mit verschiedenen Frauenorganisationen in Kontakt und überlegen beispielsweise auch, ob eine Awareness-Kampagne zum Thema K.O.-Tropfen sinnvoll sein könnte.

Der Titel Bürgermeister:in ruft ja bestimmte Assoziationen hervor– gibt es bei euch einen Wahlkampf? Und dann alle paar Jahre eine Neuwahl?

Manuel: Nein, wir werden nicht gewählt. Die Stadt überlegt sich, ob sie diesen Begriff nutzen möchte, andere Städte nutzen Bezeichnungen wie „Nachtbeauftragte“ oder „Kulturlotsen“. Natürlich hat der Begriff „Nachtbürgermeister:innen“ auch den Nachteil, dass er zu Verwirrung führen kann – er steht dann sozusagen neben dem Begriff „Tagbürgermeister:in“. In Estland beispielsweise werden Nachtbürgermeister:innen wirklich gewählt. Hier passiert das durch eine Stellenausschreibung und ein normales Bewerbungsverfahren.

Lisa: Wir sind jetzt erstmal bis Ende 2024 angestellt und dann wird geschaut, wie notwendig die Stelle weiterhin ist und was wir bis dahin erreicht haben. Wir wünschen uns natürlich ganz unabhängig von unserer Person, dass die Stelle Anklang findet und bleiben darf!

Wieso hat die Stadt Münster eure Stelle neu geschaffen? Gab es einen bestimmten Vorfall?

Lisa: Immer mehr deutsche Städte haben sich damit beschäftigt. Mannheim war 2018 Vorreiter und andere Städte sind nachgezogen. In Münster war das eine Initiative der Ratskoalition aus Grüne, SPD und VOLT. Es gab keinen bestimmten Vorfall, es ist einfach klar geworden, wie wichtig die Förderung von gegenseitigem Verständnis ist. In Münster gibt es zum Beispiel eine große elektronische Szene, das sind kulturelle Phänomene, die dem Ordnungsamt nicht unbedingt geläufig sind. Es ist wichtig, zu erklären, dass auch das Teil von Kultur ist!

Was läuft schon richtig gut im Münsteraner Nachtleben und wo gibt es noch Potenzial?

Manuel: Es läuft vieles richtig gut in Münster und es gibt keine konkreten Baustellen, die wir unbedingt angehen wollen. Münster hat für die Größe der Stadt unglaublich viele Clubs!

Lisa: Und das ist so schön! Es gibt hier so viel Vielfalt und so viele junge Menschen, die aktiv mitgestalten möchten. Es gibt Probleme, die in jeder Stadt ähnlich sind – zum Beispiel, dass es im Sommer nachts draußen zu laut ist.

Wie schwierig ist es, wirklich neutral zu vermitteln und nicht nur die Studierenden zu vertreten, wenn man selbst persönlich noch so nah dran an dieser Lebensphase ist?

Lisa: Wir sind Ansprechpartner:innen für alle und das müssen und wollen wir unbedingt sein! Das kriegen wir gut hin und natürlich kennen wir auch Tage, an denen wir früh raus müssen oder an denen wir im Studium für Klausuren gelernt haben und gut schlafen mussten. Wir können uns also total in diese Perspektive hineinversetzen.

Manuel: Wir geben uns immer große Mühe, alle Sichtweisen zu beachten. Jede:r Anwohner:in hat natürlich auch Rechte und die müssen ebenso gehört werden wie Anliegen von Feiernden.

Lisa: Deshalb ist es auch ein großer Vorteil, dass wir zu zweit sind! So können wir direkt verschiedene Blickwinkel einnehmen und diskutieren.

Wie konkret vermittelt ihr denn in einem Konflikt, beispielsweise zwischen Anwohner:in und Kneipenbesitzer:in?

Lisa: Manchmal sind Konflikte sehr festgefahren und dann hilft eine dritte, neutrale Person –

Manuel: – genau, wir würden uns dann erstmal mit beiden Parteien einzeln treffen und anschließend, wenn keine direkte Lösung möglich erscheint, setzen wir uns an einen runden Tisch und kommen mit beiden gemeinsam ins Gespräch. Gastronomien waren schon immer da und es hat auch schon immer jemand darüber gewohnt – heutzutage kennt man sich aber in Städten kaum noch. Wenn man sich kennt und schätzt, dann verzeiht man mehr und versteht mehr.

Lisa: Gerade die Ermutigung zum direkten Austausch ist sehr wichtig!

Manuel: Man versteht sich wieder, wenn man merkt: Mein Anliegen wird ernst genommen und die Musik wird wirklich leiser gedreht, wenn ich darum bitte. Mehr will man ja gar nicht.

Kriegt ihr als Nachtbürgermeister:innen in allen Clubs Freigetränke?

Manuel (lacht): Gute Frage! Das goldene Ticket für alle Konzerte hätte mich noch mehr gefreut.

Lisa  (lacht): Wir sind bei der Stadt angestellt und erschleichen uns natürlich keine Vorteile. 

Schreibe einen Kommentar