„Es gibt einfach diese unsichtbare Decke für Frauen“

Interview mit Programmiererin und Jungunternehmerin Aya Jaff.

Die 25-jährige Aya Jaff ist eine der bekanntesten Programmiererinnen Deutschlands. – Copyright: Hanzhi Chang

Aya Jaff ist 25 Jahre alt, hat das Online-Börsenspiel „Tradity“ mitentwickelt, mit 19 Jahren als einzige Bewerberin ein „Women Who Code“-Stipendium für einen siebenwöchigen Aufenthalt im Silicon Valley bekommen und ein Zentrum für junge Startups gegründet. Sie steht auf der „Forbes 30 under 30“-Liste, hält Vorträge und hat kürzlich ihr Buch „Moneymakers“ veröffentlicht. Ein Gespräch über Frauen in der (Tech-)Unternehmensbranche und die Zukunftschancen unserer Generation.

SSP: Inwiefern hat dich dein soziales Umfeld in deinen Interessen und Berufsvorstellungen beeinflusst?

Ich war mir sehr lange nicht sicher, was ich werden will. In den Freundebüchern wurde ja immer nach deinem Traumberuf gefragt und ich hatte echt keine Ahnung. Da meine Familie väterlicherseits total unternehmerisch geprägt war, habe ich dann immer entweder Sängerin – was ich aber nicht wirklich ernst meinte – oder eben Unternehmerin hingeschrieben. Als ich 15 oder 16 war, hat mir meine große Schwester dann das Buch „Rich Dad, Poor Dad“ von Robert Kiyosaki gegeben und ich habe festgestellt, dass ich tatsächlich ein sehr, sehr großes Interesse in Richtung Unternehmertum habe. Darauf folgten dann super viele andere Bücher, insbesondere rund um soziales Unternehmertum – und damit fing dann eben auch meine Reise an. Gleichzeitig habe ich mich viel mit Tech-Unternehmen wie Facebook und Google auseinandergesetzt und dann eben auch angefangen, mir selbst das Programmieren beizubringen.

SSP: Über das Programmieren hast du dir sozusagen selbst Zugang zur Tech-Welt verschafft und nach dem Abitur zunächst Wirtschaftsinformatik studiert. Warum hast du das Studium letztlich abgebrochen und hattest du Angst, dass du die Entscheidung vielleicht bereuen wirst?

Natürlich hatte ich sehr große Zweifel, es war eine extrem schwierige Entscheidung für mich und ich habe auch an dem Tag geheult, als ich sie getroffen habe, weil ich natürlich auch sehr große Hoffnungen mit dem Studium verbunden habe. Aber es wurde meinen Erwartungen einfach nicht gerecht – ich wollte vor allem Programmieren lernen und nicht die ganze Theorie dahinter. Und da ich mir das auch selbst beibringen bzw. in Bootcamps lernen konnte, habe ich für mich beschlossen, dass Studium abzubrechen.

SSP: Du wolltest also vor allem selbst etwas auf die Beine stellen und hast dann mit 22 Jahren das Startup CoDesign Factory mitgegründet. Wie kam es dazu und welche Voraussetzungen sollte man mitbringen, um Unternehmer:in zu werden?

Ich habe mich damals [Anm. d. Redaktion: mit 21 Jahren] bei Startup Teens gemeldet, weil ich ehrenamtlich aktiv werden wollte. Startup Teens ist sozusagen eine NGO, die für Jugendliche ins Leben gerufen wurde, die sich selbstständig machen wollen – unterstützt sowohl durch mittelständische als auch Großunternehmen. Dort habe ich viele verschiedene Leute kennengelernt, unter anderem natürlich den Gründer, Hauke Schwiezer, und Diana zur Löwen, mit denen ich dann auch die Codesign Factory gegründet habe, aber auch die The Simple Club-Jungs, beispielsweise. Das waren alles Leute, die völlig verschiedene Sachen gemacht haben, aber alle den Antrieb hatten, auf ihre Art und Weise die Welt zu verändern. Für mich hat Unternehmertum auch viel mit Emotionalität zu tun – und natürlich auch mit Ehrgeiz und Offenheit für Feedback. Probleme sind in der Unternehmensgründung an der Tagesordnung, und die zu lösen – daran muss man auf jeden Fall Spaß haben.

SSP: Noch immer gibt es deutlich weniger Unternehmerinnen als Unternehmer. Was entgegnest du Menschen, die sagen, das einzige Problem von Frauen sei, dass sie sich einfach nicht trauen?

Ich sage, dass Frauen viel mehr Stolpersteine in den Weg gelegt werden als Männern. Frauen kriegen einfach nicht von vornherein dieses Selbstvertrauen, diesen „Boost“ mit in die Wiege gelegt, insbesondere, wenn es darum geht, diesen „Unternehmergeist“ auszuleben. Das zeigt sich ja schon im Kindesalter, wenn Jungs gefragt werden, ob sie etwas aufbauen oder tragen können. Und das verfestigt sich dann natürlich nochmal mehr, wenn man sieht, dass es gefühlt kaum Männer gibt, die mit ihrem Aussehen Geld verdienen, sondern halt durch „Business“. Eine Studie hat auch gezeigt, dass wenn Frauen gründen, dann eben vor allem im Schönheitsbereich, Männer hingegen in allen Bereichen. Um das festzuhalten: Ich finde es überhaupt nicht schlimm, wenn man in der Schönheitsindustrie oder bei Instagram was gründet, aber es wäre halt schön, wenn das alle so sehen würden und man nicht erst so groß werden muss wie Pamela Reif, um als Unternehmerin anerkannt zu werden…

SSP:…und auf ihrer Wikipedia-Seite steht dann trotzdem, dass sie Influencerin und Model ist, und nicht Unternehmerin – ihre Produkte seien jetzt mal dahingestellt. 

Es werden eben immer noch diese typisch „männlichen“ Geschäftsmodelle angepriesen. Diese Geschlechterrollen stehen schon sehr im Gegensatz zu dem, was man heute von einem „Chef“ erwartet, beispielsweise. Und auch generell dieses „eine Frau ist bossy“ – nicht mutig oder selbstbewusst, sondern bossy, was ja negativ konnotiert ist. Ich würde niemals zu einer Frau sagen: Werd‘ mehr wie ein Mann, damit du erfolgreicher bist, aber es gibt einfach diese unsichtbare Decke für Frauen, eben wegen dieser Geschlechterrollen. Und für viele Frauen ist es oft sehr schwer, auf einmal aus dem Nichts dieses Selbstvertrauen zu schöpfen. 

SSP: Hast du Situationen in der (Tech-)Unternehmensbranche, mit Investor:innen etc. erlebt, in denen du dich als Frau missverstanden oder gar diskriminiert fühltest?

Ich persönlich nicht, aber ich glaube, dass viele Unternehmerinnen beispielsweise nicht so erfolgreich sind, weil sie einfach immer wieder auf Investoren stoßen, die sich viel mehr in ihren männlichen Kollegen sehen. Ich war in der Factory [Anm. d. Redaktion: Codesign Factory] in einem Programm, das sich damit beschäftigt hat, jungen Leuten das Gründen ein bisschen näher zu bringen, und ich war eins von zwei Mädchen unter circa 30 Jungs, die gewählt wurden. Da gab es anscheinend nicht diese Motivation, mehr auf Frauen zuzugehen. Ich denke nicht, dass das Absicht war, aber diejenigen, die das Programm bestimmt haben, waren eben Männer und haben eben vor allem die männliche Perspektive miteinbezogen. Würdest du mich fragen: Hey Aya, ich brauche noch Speaker:innen – dann würden mir auch als erstes Frauen in den Sinn kommen, weil sie meine Freundinnen sind und weil ich sie gefühlt besser verstehen kann als die männliche Seite. Ich glaube, das passiert im Moment noch bei vielen Männern und wir sollten das jetzt nicht als böse werten. Aber ich erwarte schon, dass es eine Instanz gibt, die da einen Blick drauf hat – dass bei Konferenzen, deren Speaker ausschließlich männlich sind, auf den Veranstalter zugegangen und gefragt wird, warum nicht mehr Frauen angefragt wurden. Deswegen denke ich, dass hier eine Diskriminierung stattfindet, die nicht ganz gewollt ist, aber die halt einfach daraus resultiert, dass Männer oft in Machtpositionen sind.

SSP: Wie können wir Voraussetzungen schaffen, um Frauen, aber auch allgemein jungen Menschen die Startbedingungen zu erleichtern  (sowohl, um ein Unternehmen zu gründen als auch sich mit Börse & Co. auseinanderzusetzen)?

Wie so oft, glaube ich, liegt das Geheimnis natürlich darin, wie das im Kindes- und Jugendalter wahrgenommen wurde, wie diese Themen in der Popkultur und in den Medien behandelt wurden bzw. werden. In Filmen oder Serien sind Unternehmer eben oft weiße Männer, und Trader sind oft Arschlöcher, die super viele Leute übers Ohr hauen und so weiter. Wir müssen zeigen, dass Unternehmertum nicht bedeutet, dass man nur von Profitgier gelenkt ist, sondern auch ein gemeinnütziges Ziel verfolgen kann. Dann hat man auch wieder die soziale Komponente reingebracht, mit der nicht nur mehr Frauen, sondern auch mehr Männer etwas anfangen können, die sich nicht vom klassischen Bild des skrupellosen Unternehmers im Anzug angesprochen fühlen. Beim Thema Börse genauso: Es geht eben nicht nur ums Geldmachen, sondern vor allem darum, wie man investiert. Ich glaube zum Beispiel, dass die Fridays-for-Future-Bewegung dazu führen könnte, dass unsere Generation mehr über Nachhaltiges Investment nachdenkt, das nicht nur die Umwelt schont, sondern auch sozial verträglich ist. Und wenn man es schafft, die Börse so zu zeigen, dass sie einem näher steht, als man vielleicht denkt, dann könnte man glaube ich auch mehr Leute dazu bewegen, sich damit zu beschäftigen. Das versucht zumindest mein Buch „Moneymakers“ (lacht).

SSP: Du hältst seit Jahren Vorträge über deine Erfahrungen in der Tech-/Gründer:innen Szene und besuchst Konferenzen, als Speakerin auf der Tincon beispielsweise. Wie schaffst du es, alles unter einen Hut zu bekommen und was ist deine Motivation bzw. dein Lebensmotto?

Ich glaube, mit genug Planung kann man alles im Leben bewältigen. Das ist zwar auch meine größte Schwäche, aber es ist auch etwas, woran ich arbeiten muss, sonst kriege ich das alles eben nicht unter einen Hut. Das heißt, ich habe wirklich strikte Zeiten, in denen ich mich zum Beispiel nur mit Emails beschäftige. Es ist echt ein Luxus, dass ich bestimmen kann, wann ich wie arbeite – und das ist auch der Grund, warum mir mein Beruf generell so viel Spaß macht und ich hoffentlich auch weiterhin selbstständig bleibe und nicht dieses typische „9 to 5“ machen muss. Dementsprechend ist mein Lebensmotto auch eine Kombination aus „Planning ist everything“ und „Just do it“ (lacht). Also wenn du dich dazu entscheidest, etwas anzugehen, dann versuch es so gut wie möglich in dein Leben einzuplanen, aber denk auch nicht zuviel darüber nach, sondern mach’s einfach. Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.

SSP: Was möchtest du unseren Leser:innen noch mitgeben? 

Habt nicht so viel Angst, wenn ihr nicht genau wisst, was ihr werden wollt. Wichtig ist, dass ihr euch besser kennenlernt, dass ihr euch ausprobiert. Der Weg ist das Ziel – also nehmt das Leben ein bisschen lockerer (lacht).

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