Der Münsteraner Autor Nicholas Wieling hat seinen ersten Roman „Beziehungskisten“ veröffentlicht. Wir haben es gelesen und stellen fest: ein erfrischend unkitschiges Buch über die Liebe.
„Ohne den Blick zu heben, sagt sie plötzlich: »Tom, wir müssen mal reden«”! Was klingt, wie das Ende einer Geschichte, steht im Debüt-Roman von Nicholas Wieling am Anfang. Seit Juni ist der Werk des Jungautors aus Münster zu haben und weit weniger schnulzig als der Titel vermuten lässt.
Anna, die ihren langjährigen Freund Tom mit der obigen Ansage völlig überrumpelt, stellt ihre Beziehung in Frage. So gewöhnlich wie die Namen der beiden, ist auch ihre Situation: Die erste Verliebtheit ist längst der Routine gewichen und als sich sich fragen, warum sie überhaupt noch zusammen sind, fällt eine Antwort schwerer als gedacht. Doch einfach Aufgeben wollen sie auch nicht.
So beginnt die Geschichte ihres gemeinsamen Ringens um die Liebe zueinander und nicht allein dieser unkonventionelle Ausgangspunkt, macht „Beziehungskisten” zu einem originellen Stück Literatur. Um sich wieder näher zu kommen, beginnen Anna und Tom zusammen das Buch „Beziehungskisten” zu lesen. Jetzt erklärt sich der womöglich abschreckende Titel. Zusammen mit Anna und Tom schmökert der sich der Leser durch ein Potpourri an Kurzgeschichten in verschiedensten Formen. Im Stil eines Magazins erfahren wir von einer Partner-Tauschbörse, ein Märchen thematisiert der Bedeutung von Äußerlichkeiten in der Liebe und eine Geschichte zum Mitentscheiden entführt in das gefährliche Abenteuer Fremdgehen. Was zunächst wie ein ziemlich wahrloses Sammelsurium anmutet, macht das Werk zu einem äußerst kurzweiligen Vergnügen. Durch sicheres Timing und die gute Komposition der Geschichten, wird die Rahmenhandlung nie überlagert. Zwar taucht man kurz ab, überlegt sogleich wieder mit Anna und Tom, was die teils seltsamen Episoden wohl für sie bedeuten könnten. Angeordnet nach den Fragen, „Wie sollen wir Liebe sagen?”, „Wie sollen wir Liebe leben?”, „Wie sollen wir Liebe sein?” lassen einen die selbst Ansichten aus dem Leben einer Schlagersängerin oder die Schilderung einer Hochzeit im Online-Rollenspiel das Hoffen und Bangen um die Beziehung von Anna und Tom nie gänzlich aus den Augen verlieren.
So schaffen es die Beziehungskisten, mit diesem pfiffig konstruierten Rahmen eine Vielzahl von Themen aufzuarbeiten, seien es die Rolle von Smartphone und Internet, die Bedeutung von Körperlichkeit oder der Wandel von Rollenbildern im Beziehungsleben des 21. Jahrhunderts. Nicholas Wieling hat damit ein vielversprechendes Erstlingswerk vorgelegt. „Beziehungskisten” ist ein junges, frisches Buch über das Leben und die Liebe. Wer sich Pauschalantworten oder Patentrezepte erhofft, wird enttäuscht. Wer sich jedoch auf seine Fragen einlässt, kann dem Buch womöglich Einiges abgewinnen. Mich jedenfalls hat Anna mit ihrer Aussage überzeugt: „Vielleicht gibt es das einfach nicht: Eine Beziehung, in der nichts und niemand kaputt ist, zumindest ein bisschen”. Und eines ist das bestimmt nicht: kitschig.
„Beziehungskisten” ist beim Verlag Ruhrliteratur zum Preis von 19,95 Euro erhältlich.