„Typen aus Verbindungen sind gehirngewaschene, saufende Studenten mit einem Stock im Arsch und einem altmodischen Weltbild.“ Solche Klischees haben die meisten im Kopf, wenn über Studen- tenverbindungen geredet wird. Echtes Wissen besitzen die Wenigsten. Dabei warnen gerade Studie- rende so gern vor falschen Vorurteilen und gefährlichem Halbwissen. Ich habe mit drei Verbindungs- studenten gesprochen – einem ehemaligen, einem aktiven und einem zukünftigen.
Ein willkommener Gast erhält Hausverbot
Einhundertachtzig Euro Miete im Kreuzviertel – exzellente Lage, günstiger Preis. Davon träumt jeder, der in Münster gerade auf Wohnungsjagd ist. Wie so viele suchte Marko zum Semesterbeginn lange Zeit vergebens nach einer Unterkunft. In der Anzeige stand nicht geschrieben, dass es sich um eine Studentenverbindung handelte. Erst als Marko das Zimmer besichtigte, erzählten es ihm die Burschen. Heute weiß er, dass man dies die Keil-Taktik nennt. Da Verbindungen heute einen schlechten Ruf haben, müssen sie Kreativität zeigen, um neue Mitglieder für sich zu gewinnen. Es existieren viele Vorurteile gegenüber Studentenverbindungen, weil nur we- nige wissen, wie Füxe und Burschen überhaupt zusammenle- ben. Dabei gibt es zwischen den verschiedenen Verbindungen teilweise große Unterschiede. Zusätzlich trägt das eigenartige Vokabular seinen Teil dazu bei, dass Außenstehende miss- trauisch auf diese fremde Welt schauen.
Marko machte sich nichts aus den negativen Vorurteilen und zog ein. Seine Neugier war geweckt, schließlich hat das Frem- de auch einen gewissen Reiz. Als Spefux stand er in der Hier- archie ganz unten, im Prinzip war er nur ein willkommener Gast. Das bedeutete zahlreiche Verp ichtungen neben dem Uni-Alltag für ihn. Einmal die Woche besuchte er die Fuxen- stunde, in der er alles über die Verbindung, Münster und auch einiges an Allgemeinwissen lernen sollte. In der Burschenprü- fung wird all das abgefragt. Den meisten Verbindungen ist es sehr wichtig, sich nach außen hin makellos zu präsentieren. Dazu gehört neben Aussehen und Verhalten auch eine weit- reichende Bildung. Dieses Auftreten wirkt auf Außenstehen- de schnell versteift und altmodisch.
Neben den Fuxenstunden musste Marko achtmal im Semes- ter in der hauseigenen Bar aushelfen. „Dann gab es noch Ämter wie den Müll- oder den Kassenwart, damit die Auf- gaben im Haus auch erledigt werden“ erinnert sich Marko. Außerdem fanden regelmäßig Hausversammlungen statt und weitere Termine, bei denen die Mitglieder ihre Verbindung repräsentierten, indem sie im Wichs gekleidet chargierten.
Bei sogenannten Aktivenfahrten werden Verbindungen in an- deren Städten besucht und so Kontakte gep egt. Das deutsch- landweite Netzwerk an Studentenverbindungen (etwa 1.000 an der Zahl) ermöglicht, dass Mitglieder in fast jeder Stadt eine offene Tür nden.
Zu all den Verpflichtungen kamen auch noch die Saufgelage, die Markos Zeit und Gehirnzellen stark in Anspruch nahmen. Wenn er über seinen Alkoholkonsum während dieser Zeit spricht, benutzt er das Wort „krank“ auffällig oft. Beim Trinken gehe es häu g nicht darum, besoffen zu sein, son- dern einfach nur so viel und so schnell wie möglich zu saufen. „Man zwängt sich was rein, was nicht in den Körper passt.“ Das war auch einer der Gründe, weshalb Marko das Verbin- dungshaus nach nur wenigen Monaten wieder verließ. Als Reaktion auf seinen Entschluss erhielt er Hausverbot. „Ich will eigentlich in keiner Weise mehr was mit denen zu tun haben“, beschreibt er das heutige Verhältnis zu seinen ehe- maligen Mitbewohnern.
Gestern revolutionär, heute altmodisch?
Verbindungen legen hohen Wert auf den Zusammenhalt untereinander, ein Austritt gleicht da fast einem Verrat. Za- charias D. Ryan teilt diese Meinung: „Das ist mehr als eine Zweck-WG, in der man günstig wohnt“, in einer Verbindung bleibe man ein Leben lang. Zacharias zählt inzwischen zu denInaktiven und ist völlig überzeugt vom Prinzip der Studen- tenverbindungen. In seinem Haus gehört das Fechten zum P ichtprogramm, von jedem Mitglied wird ein festgelegtes Minimum an Mensuren gefordert. Das Fechten habe ihm ge- holfen, „seinen Mann zu stehen und einen kühlen Kopf in Extremsituationen zu bewahren“. Damit teile er mit den an- deren Burschen eine Erfahrung, die sie für immer zusam- menschweiße.
Zacharias und die anderen Bewohner seiner Verbindung wissen, „dass sich der Zeitgeist gewandelt hat, und dass wir als rückständig gelten“. Trotzdem wolle man sich nicht ver- stecken, schließlich stünden sie für „zeitlose Werte“ ein. Während heutzutage Studentenverbindungen aus der Zeit gefallen scheinen, vertraten sie im 19. Jahrhundert revolutio- näre Ideen. Demokratie, Meinungsfreiheit und ein deutscher Nationalstaat – früher wilde Träumereien, Hirngespinste aus Sicht der damaligen Konservativen. 1815 wurde die Jenaer Ur- burschenschaft gegründet, die erste ihrer Art.
Zwei Jahre später erlebten die Studentenverbindungen ver- mutlich schon ihren geschichtlichen Höhepunkt: Auf dem Wartburgfest versammelten sich zahlreiche Studenten zu ei- ner Kundgebung für einen einheitlichen deutschen National- staat. Ein völliges Novum im damaligen deutschsprachigen Raum, den Geschichtslehrer gern „Flickenteppich“ nennen.
Die Bestrebungen der Studenten und ihrer Verbindungen wurden zum Feindbild reaktionärer Kräfte. Daher verbot sie der Deutsche Bund kurze Zeit später; erst im Zuge der Revolu- tion von 1848 wurden sie wieder erlaubt. Unter Hitler ließen sich die Werte Demokratie, Meinungsfreiheit und Nationalis- mus nur schwer vertreten. Die Gleichschaltung machte auch hier keinen Halt. Spätestens als 1936 kein NSDAP-Mitglied mehr in einer Verbindung aktiv sein durfte, blieb nur noch der NS-Studentenbund als Alternative.
Heute sind Demokratie und Meinungsfreiheit in einem ver- einten Deutschland fest etabliert. Deshalb scheint es, dass die Studentenverbindungen ihre raison d’être verloren haben. Das Blatt hat sich gewendet: Nun vertreten sie selbst konser- vative, teilweise sogar reaktionäre Meinungen. Das unbeirrte Bestehen auf Tradition erschwert es den Verbindungen, heu- te den Anschluss zu halten. Obwohl es immer schwerer fällt, mit Keil-Taktiken neue Mitglieder zu gewinnen, gibt es im- mer noch interessierte Studierende.
Studentenverbindungen und Online-Dating
Stephan ist zu Beginn seines Studiums in einem Wohnheim untergekommen. Doch schon seit einiger Zeit überlegt er, in eine Verbindung einzutreten. „Ich weiß noch nicht wirklich, was da auf mich zukommt“, gibt er selbst zu. Jedoch würde er es gern ausprobieren, weil man dort „exklusive Möglich- keiten als Student“ habe. Momentan ist er noch auf der Suche nach einem Verbindungshaus, das zu ihm passt.
Sein Vorgehen erinnert ein wenig an die Partnerwahl im Internet: Stephan lässt sich Zeit mit seiner Entscheidung und informiert sich in Ruhe über die möglichen Angebo- te. In Münster existieren schließlich 30 Verbindungen. Jede davon hat ihren eigenen Charakter, der sich in bestimmten Vorschriften und Idealen ausdrückt. Stephan hat im Netz recherchiert, Freunde befragt und die berüchtigte Ruderer- party besucht. Doch die sogenannten Ruderer seien nichts für seinen Geschmack gewesen. Auch katholische Verbin- dungen schließt er kategorisch aus, da sie gemäß dem Gebot der Nächstenliebe nicht-schlagend sind. „Da stelle ich mir die Frage, was macht eine Verbindung aus?“ erläutert Stephan seinen Gedankengang. Wenn eine Verbindung nicht-schla- gend sei, so erklärt er weiter, bliebe ihr einzig und allein der Alkoholkonsum als Charakteristikum. „Ein sinnvoller Mittel- weg wäre eine konfessionslose, unpolitische Verbindung“, denkt Stephan laut nach. Idealerweise sollte sie für ihn far- bentragend und fakultativ-schlagend sein.
Es gibt politische und unpolitische, schlagende und nicht-schlagende, katholische und nicht-religiöse Verbin- dungen. Einige lehnen Alkoholkonsum ab, andere hängen wöchentlich sternhagelvoll über dem Pabst. Burschenschaftensehen sich in der Tradition der Jenaer Urburschenschaft, für deren Werte „Ehre, Freiheit, Vaterland“ sie konsequent ein- stehen. Wenn in den Medien über rechte Verbindungen be- richtet wird, handelt es sich in der Regel um diese.
Studentenverbindungen darf man somit nicht über einen Kamm scheren, da sie sich untereinander oft stark unter- scheiden. Was sie aber alle gemeinsam haben, ist das Le- bensbundprinzip. Das ist für Stephan „wie Rente, nur umge- kehrt“. Der Lebensbund ist das Getriebe, das jede Verbindung am Laufen hält. Sobald man in der Hierarchie vom Fux zum
Burschen aufsteigt, ist man für den Rest des Lebens Teil des Ganzen. Die Alten Herren nanzieren die aktiven Studenten. Daher können potentielle Verbindungsstudenten mit güns- tigen Mieten in attraktive Wohngegenden gelockt werden. Neben dem bundesweiten Netzwerk von Verbindungen sind Kontakte im zukünftigen Berufsfeld ein weiterer Vorteil für die Studenten.
Die Alten Herren sind in der Regel gestandene Juristen oder in anderen Berufen erfolgreich und können den jüngeren Burschen so Karrieretipps geben. Auch Stephan wäre später bereit, als Alter Herr für das Wohl jüngerer Burschen zu sor- gen. Obwohl er von den Studentenverbindungen fasziniert ist, bleibt er doch noch vorsichtig und möchte vorerst in sei- nem Wohnheim bleiben: „Ich will mir das erstmal angucken. Solange ich ein Fux bin, ist das ja noch relativ unverbindlich“. Ein ganz schöner Fuchs, dieser Stephan.
*Stephan und Marko heißen eigentlich anders, wollen hier aber anonym bleiben.
Dieser Artikel stammt aus der aktuellen Ausgabe des Semesterspiegels (#439). Weitere Inhalte findet ihr exklusiv nur im Heft (PDF).
„Stephan“ kann sich ja gerne mal bei den Münsteraner Sängern (farbentragend und fakultativ schlagend) melden 😉