Der Hawerkamp – die Mehrheit der Studierenden hat hier schon einmal die Nacht zum Tag gemacht. Vielleicht ist dem einen oder der anderen hierbei auch schon einer der farbenfrohen eve&rave Münster Infostände aufgefallen. Im Gegensatz zu anderen Drogenpräventionsvereinen richtet sich eve&rave Münster vor allem an die Konsument:innen. Sie klären direkt vor Ort auf, um einen reflektierten und bewussten Drogenkonsum zu fördern.
SSP: Wie hat das mit eve&rave Münster überhaupt angefangen?
Dr. Thorsten Jeck: 1996 hat ein damaliger Kommilitone von mir eve&rave Münster noch als Projektstelle der AIDS-Hilfe Münster gegründet. Da ich vor meinem Studium schon als DJ tätig war und so auf Partys auch mit mehreren Drogenkonsumenten:innen in Kontakt war, kamen wir darüber ins Gespräch. Er hat mich dann gefragt, ob ich nicht Lust hätte bei eve&rave Münster mitzumachen. Wir waren zu dem Zeitpunkt eine Gruppe von gerade mal drei, vier Leuten und hatten vor allem Infostände im Fusion und im Cosmic Club am Hawerkamp. Schon ein Jahr später waren wir dann auf Großveranstaltungen wie der Mayday [1] in Dortmund. Aufgrund dieser rasanten Expansion zogen wir um die Jahrtausendwende mit unseren Büros in die Drogenhilfe Münster um, wo wir auch heute noch sind.
SSP: Was sind die zentralen Aufgaben eures Vereins?
Dr. Thorsten Jeck: Die Infostände sind der absolute Schwerpunkt, damit wird man in erster Linie auch sichtbar nach außen. Die Organisation ist dabei über die Jahre leider immer komplizierter geworden, da man heutzutage häufig nicht mehr mit dem Clubbesitzer, sondern dem jeweiligen Veranstalter kommunizieren muss. Außerdem haben wir immer noch ein relativ kleines Team, wobei viele auch nur noch passiv dabei sind. Deutschlandweit sind wir circa 30 Leute, in Münster etwa 20. Der Großteil davon sind Studierende, welche vor allem während der Klausurenphasen eher weniger Zeit für ehrenamtliche Arbeit haben. Daher schwankt die Anzahl unserer jährlichen Infostände immer sehr stark. Trotzdem waren wir letztes Jahr unter anderem auf Veranstaltungen im Triptychon, im Conny Kramer oder der Sputnikhalle am Hawerkamp vertreten.
An der FH Münster hatten wir ebenfalls in den letzten Jahren öfters Infostände zum Thema Neuro-Enhancement, umgangssprachlich Hirn-Doping, im Studium. Wir bieten zusätzlich auch Informations-veranstaltungen an. Dies jedoch nur auf Anfrage. Oft sind das eher kleinere Veranstalter, welche in erster Linie lernen wollen, wie man Partys plant, ohne dass auf diesen massig Drogen konsumiert werden. Außerdem halten wir in verschiedenen Fahrschulen in Münster Vorträge zum Thema Drogen im Straßenverkehr.
SSP: Inwiefern ist eve&rave Münster auch überregional tätig?
Dr. Thorsten Jeck: Vor allem in den Sommermonaten sind wir vermehrt auf deutschlandweiten Technoveranstaltungen wie der Mayday, der Nature One oder der Ruhr-in-Love mit unseren Infoständen vertreten. Was die Öffentlichkeit eher weniger mitbekommt ist, dass wir zum Beispiel auch Mitglied eines deutsch-französischen Forschungsprojektverbunds sind. In Kooperation mit der Universität Frankfurt, der Polizei Frankfurt, Hamburg, Straßburg und Paris und noch vielen weiteren Institutionen soll untersucht werden, wie sich Drogenkonsum auf das Sicherheitsgefühl der Bürger:innen in den jeweiligen Städten auswirkt. Ein weiteres größeres Projekt startet Anfang nächsten Jahres für uns. In Kooperation mit dem Institut für Therapieforschung in München wollen wir mit Tablets an unseren Infoständen herausfinden, wie weit der Konsum von neuen psycho-aktiven Substanzen[2] in der Partyszene verbreitet ist. Des Weiteren wollen wir in Kooperation mit anderen Drogenpräventionsprojekten unsere Infostände mit zusätzlichen Betreuungsmöglichkeiten ausrüsten. Dies ist jedoch logistisch sehr aufwendig, da wir hierfür zwischen 20 und 30 Mitarbeiter:innen benötigen. Trotzdem konnten wir dieses Projekt in diesem Jahr bereits auf dem Waldfrieden Wonderland Festival umsetzen.
SSP: Was genau unterscheidet euer Konzept von klassischen Drogenberatungsstellen?
Dr. Thorsten Jeck: Wir gehen dahin, wo es wehtut. Da wo die klassischen Drogenberatungsstellen sich eher nicht blicken lassen. Wir sind nachts am Wochenende in den Clubs unterwegs und versuchen dort hauptsächlich die bereits Konsumierenden zu erreichen. In erster Linie wollen wir Schadensminderung betreiben, indem wir die Konsument:innen dazu anregen wollen, ihren Konsum zu überdenken und zu reflektieren. Außerdem gibt es bei uns zwischen den Mitgliedern und den Konsument:innen keine Barrieren, vor allem da wir keine staatliche Institution sind. Trotzdem fungieren wir vor allem auch als Schnittstelle zwischen den Konsument:innen und weiteren Drogenhilfe-Institutionen in Münster. Wir bieten also auch selbst Hilfe an, vor allem in Form von Informationen, leiten die Konsumenten:innen bei Bedarf aber auch weiter an beispielsweise Therapiezentren oder andere Drogenberatungsstellen.
SSP: Wie wird auf euren Verein reagiert? Habt ihr mit vielen Vorurteilen und Anfeindungen zu kämpfen?
Dr. Thorsten Jeck: Ich mach das jetzt seit 23 Jahren und habe noch nie eine Anfeindung erlebt, noch nie. Wir stoßen eigentlich durchweg auf offene Ohren. Des Öfteren kommt es vor, dass völlig aufgelöste Eltern anrufen, weil sie zum Beispiel beim Waschen ein Tütchen in der Hosentasche ihres Kindes gefunden haben. Diese versucht man dann zu beruhigen und erklärt ihnen, dass das alles halb so wild ist, solange der Konsum gemäßigt abläuft. Die meisten sind dann sehr froh, dass es uns gibt.
SSP: Inwiefern hat sich die Stellung von Drogen in der Gesellschaft verändert?
Dr. Thorsten Jeck: Drogen sind mittlerweile omnipräsent. Das kann man gut oder schlecht finden, aber so ist es nun eben. Drogenkonsum ist eine Phase des Erwachsenwerdens, wie Alkohol in den 70er Jahren, ist es in den 2000ern zu Rauschmitteln gekippt. Das ist ein Adoleszenzeffekt, den man nicht unterbinden kann. Auch von größeren Institutionen, wie zum Beispiel der Polizei, bekommen wir immer wieder Zuspruch für unsere Arbeit.
Jedoch ist es durch die rechtliche Lage in Deutschland immer noch sehr schwer, wenn nicht sogar unmöglich, Drogen genauer auf ihre Inhaltsstoffe und deren Konzentration testen zu lassen. Zwar gibt es derzeit in Berlin wieder einmal ein Drugchecking-Pilotprojekt, jedoch ist der Ausgang beziehungsweise die Weiterführung und Ausdehnung auf ganz Deutschland ungewiss.
SSP: Was würdest du dir für die Zukunft von eve&rave Münster wünschen?
Dr. Thorsten Jeck: Die Drogenprävention wird immer noch als Teil des Schmuddel Milieus angesehen, daher sind vor allem Firmen und Unternehmen davon abgeneigt ihr Geld in Vereine wie unseren zu investieren. Es hört sich nun mal besser an zu sagen, dass man in einen Ruderclub und nicht in einen Drogenpräventionsverein investiert. Trotzdem wäre es schön, wenn wir in Zukunft die Möglichkeit hätten, mehr in unserer Logistik und vor allem in den Transport zu investieren. Jedoch sind wir auch nicht bereit jedes Geld anzunehmen, wir wollen uns nicht in unsere Arbeit reinreden lassen. Geld ist willkommen, aber nur mit der Auflage, dass der Geldgeber keine unangemessenen Forderungen an uns stellt. Wir wollen frei in unserem Tun sein. Außerdem würde ich mich freuen, wenn noch mehr Studierende, die sich im Nachtleben auskennen (oder sogar als DJ:anes, Veranstalter:innen, Journalist:innen oder Blog- ger:innen aktiv sind) und durch ihr Studium schon ein gewisses Vorwissen mitbringen (zum Beispiel aus den Bereichen Naturwissenschaften, Pharmakologie, Medizin, Jura, Sozial- und Erziehungswissenschaften, Psychologie oder Journalismus), Zeit und Lust hätten, sich bei uns ehrenamtlich zu engagieren. Aber durch den Bologna-Prozess haben Studenten ja leider immer weniger Zeit für solche Projekte.
Fußnoten
- [1] Die Mayday ist eine Technoveranstaltung, welche jedes Jahr in der Westfalenhalle in Dortmund stattfindet. Sie gilt als der größte Indoor-Rave Deutschlands.
- [2] Mehr Informationen dazu findet ihr im Drogen ABC unter eve&rave.de
Dieser Artikel stammt aus der aktuellen Ausgabe des Semesterspiegels (#440). Weitere Inhalte findet ihr exklusiv nur im Heft (PDF).