„Shore ist Heroin?”

Im Youtube-Format „Shore, Stein, Papier” auf dem Kanal „zqnce“ erzählt Exjunkie $ick seine Lebensgeschichte: Wie er mit fünfzehn anfängt, Heroin zu rauchen. Wie er nachts in Hannovers Innenstadt die Läden leerräumt. Wie er viermal für seine Taten im Knast landet. Authentisch und direkt schildert $ick in Clips zwischen fünf und zwanzig Minuten genauso lustige Anekdoten wie ernste Gedanken. Vom Spaß am Turn oder der Freude am gelungenen Einbruch über den Selbstekel als er das erste Mal zur Spritze greift bis zum langen Kampf, die Drogen hinter sich zu lassen. Über eine Million mal wurde die erste Folge schon geklickt. Rund drei Jahre lang entstanden fast vierhundert Folgen der Serie, die sogar mit dem Grimme Online Award 2015 ausgezeichnet wurde. Über sein Leben mit der Sucht und die Arbeit an seinem Buch haben wir mit $ick gesprochen.

SSP: Wie fing deine Geschichte an? Wie bist du süchtig geworden?

$ick: Als ich 13 war sind wir nach Hannover umgezogen und ich habe mich mit dem Freund meiner Mutter gar nicht verstanden. Der hat mir ganz klar gesagt, dass ich bei ihm unerwünscht bin und so habe ich mich halt nach draußen orientiert. Ich hab da einen Jungen kennengelernt, der war damals, genau wie ich, neu an der Schule. Der ist von seiner alten Schule schon verwiesen worden wegen Randale. Der hat wohl Vandalismus betrieben und irgendwas kaputtgemacht.

Der hat mich dann sozusagen in seinen Freundeskreis eingeführt, die damals auch alle schon gekifft haben. So fing das dann an, dass wir uns mit 13 schon fast jeden Tag die Eimer (eine Art Bong aus einer leeren Plastikflasche) reingehauen haben, meistens auf so einem Spielplatz. Aber durch den Freund hab ich auch meine erste Freundin kennengelernt und wegen der habe ich dann auch eine Zeit lang weniger gekifft. Die hatte da keinen Bock drauf und wir haben uns ständig deswegen gezofft. Auch an dem Abend, an dem ich das erste Mal Shore geraucht habe, hatten wir vorher Stress. Ich bin danach mit ein paar Jungs auf eine Party im Jugendzentrum gegangen. Plötzlich merke ich so, wie meine ganzen Kollegen alle weg sind. Ich dachte erst, die sind bestimmt draußen und kiffen. Die saßen dann allerdings alle im Waschraum auf dem Boden und hatten alle schon ihre Bleche in der Hand. Da hab ich das erste Mal mitgeraucht, als ich gerade 15 war. Aber das Gefühl hat mich direkt so eingefangen, dass ich von da an jeden Tag geraucht habe bis zu meiner ersten Verhaftung.

SSP: Und wann hast du realisiert, dass du heroinsüchtig warst?

$ick: Wirklich gemerkt habe ich es eigentlich erst nach zehn Monaten. Vorher waren die Abstände zwischen dem Rauchen wohl so kurz, dass ich die Entzugserscheinungen gar nicht richtig erkannt habe. Aber an dem Tag saß ich zufällig mit ‘nem Altjunkie zusammen in der U-Bahnstation auf der Treppe. Wir haben beide da unser Blech geraucht und der guckte mich immer so komisch an. Irgendwann sagt er so: „Bist du nicht ‘n bisschen jung?“ und ich wusste echt nicht, was er wollte. Dann meinte er, „ja, bist du nicht ‘n bisschen jung für Herion?“ und da hab ich erst kapiert, dass Shore Heroin ist. Und dann war mir klar: Ich bin heroinsüchtig. Hat ja auch zu der Zeit noch viel Spaß gemacht. Eigentlich sogar bis zu meiner ersten Koksphase, die dann nach der ersten Haft kam, war das eigentlich irgendwie alles noch ein großer Spaß. Ein bisschen rebellisch halt.

SSP: Wie fühlte sich denn die Abhängigkeit an?

$ick: Die war zu der Zeit noch gar nicht präsent. Erst als das Koks kam, wurde das wirklich schlimm, weil das wirklich alles im Leben bestimmt. Heroin ist recht gemütlich und man kriegt seine Abhängigkeit nur mit, wenn man nichts hat. Koks zwingt dich auch, wenn du den ganzen Tisch voll damit hast. Man will immer mehr, mehr, mehr.

SSP: Du sprichst in der YouTube-Serie oft vom Affen bzw. vom affig werden. Was ist der Affe?

$ick: Das ist der Turkey, der Entzug. Ich glaube das nennt man in ganz Norddeutschland so: „Man schiebt ‘n Affen.“ Der sitzt dir im Nacken und klopft die ganze Zeit an. Und dann tötet man ihn eben, indem man wieder raucht. Bis der nächste kommt. Und je nach dem, was du konsumierst, ist der Entzug halt anders. Wenn du dich auf Heroin hoch dosiert hast, dann ist das wirklich ein körperlicher Entzug. Du wachst zum Beispiel nach vier, fünf Stunden Schlaf  schon auf, weil dein Körper Nachschub braucht. Dir tun die Knochen weh wie bei einer richtigen Grippe, dir läuft die Nase und die Spucke und die Augen tränen. Irgendwann kriegt man dann auch Krämpfe, muss Brechen und so. Bei Koks ist es eher eine psychische Sache. Also zumindest, wenn man so heftig konsumiert wie ich, wird man wahnsinnig davon.

SSP: Hat es dich nicht total genervt, dass dein rebellischer Trip so schnell zu einer ständigen Jagd nach Geld für Drogen wurde?

$ick: Ne, das realisiert man gar nicht so wirklich. Die ersten Jahre als Jugendlicher hat diese Jagd nach dem Geld ja auch noch Spaß gemacht. Irgendwie gehörte das für mich auch zu dem Film Heroin dazu und war damals cool mit den Einbrüchen, dem Abziehen und Klauen. Ich hab das von Anfang an so kennengelernt: Stoff ist teuer, Taschengeld langt vorne und hinten nicht, da ließ sich das gar nicht trennen.

SSP: Wann hast du das erste Mal ernsthaft daran gedacht, aufzuhören?

$ick: Das erste mal gedacht, dass mein Leben ganz schön scheiße ist, habe ich schon in der Zeit als ich obdachlos war. Ich bin an meinem 18. Geburtstag zuhause rausgeflogen und war ein Jahr auf der Straße unterwegs. Da hab ich schon manchmal gedacht: „Das geht gar nicht.“ Am schlimmsten war wohl eine Nacht im Obdachlosenheim. Da hab ich es gar nicht die ganze Nacht ausgehalten, so stank es da drin. Da kamen schon erste Gedanken. Aber wirklich ernsthaft nachgedacht habe ich erst, als ich das zweite Mal in Haft kam und mich die Bullen mehr oder weniger vor dem sicheren Tod gerettet haben. Zu der Zeit war ich ungefähr 23 und schon acht Jahre unterwegs. Eigentlich wollte ich da aber auch nur nicht so konsumieren wie vorher. Ich habe vorher Koks gespritzt und das wollte ich nicht mehr. Alles andere war da noch okay für mich. Konsumieren wollte ich da noch, nur nicht daran krepieren.

SSP: Wie hast du es letztlich geschafft, von den Drogen wegzukommen?

$ick: Der Ausgangspunkt war im Grunde immer die Haft. Der Staatsanwalt hat immer erst einmal meine Sucht unterbrochen. Aber nach der letzten Haft bin ich in eine Therapie gegangen und habe kurz vorher auch noch meine Tochter gezeugt. Nach der Therapie als meine Tochter zur Welt kam, da habe ich mir gesagt, dass ich das jetzt auf jeden Fall hinkriegen will. Zwar bin ich auch danach noch ein paar mal rückfällig geworden, aber dort habe ich einen Therapeuten kennengelernt, der mir in unseren Gesprächen wirklich geholfen hat. Immer wenn ich seitdem rückfällig wurde, hab’ ich diesen Typen im Ohr, der mir jeden Turn versaut.

SSP: In der YouTube-Serie kann man deine ganze Drogenkarriere mit ihren Höhen und Tiefen, letztlich auch mit den Therapien nachverfolgen. Nun ist die Serie seit einiger Zeit abgeschlossen. Was bedeutet das Projekt für dich?

$ick: Im Endeffekt war das die beste Therapie für mich. Es war zwar echt hart, sich noch mal allen Erinnerungen zu stellen, aber das hat mir auf jeden Fall noch mal total geholfen. Besonders die Koksphase hatte ich eigentlich total verdrängt. Aber mein Produzent Paul hat da natürlich auch nachgebohrt und mich dazu gebracht, mir wirklich noch mal alles in Erinnerung zu rufen. Da musste ich mich allem noch mal stellen. Zeitweise wurde das auch echt hart, da konnte ich kaum damit umgehen, was da alles wieder hochkam. Auch beim Buchschreiben jetzt, wo es um die Phase geht, hatte ich manchmal echt mit Heulkrämpfen zu kämpfen. Wir haben dann mit dem Drehen auch immer wieder längere Pausen gemacht. Wir wollten die Story aber unbedingt zu Ende erzählen.

Dass wir dann vor ein paar Monaten sogar den Grimmepreis damit gewonnen haben, ist natürlich großartig. Außerdem ist daraufhin ein Verlag auf mich zugekommen, der mir angeboten hat, meine Geschichte noch mal in Buchform zu erzählen.

SSP: Was kann sich der eingefleischte Fan, der schon alle Folge gesehen hat, von dem Buch erhoffen?

$ick: Natürlich ist das Buch weniger umfangreich als die Videos. Hätte ich alles aufschreiben wollen, was ich da erzähle, müsste ich 2000 Seiten schreiben und ich habe nur rund 350 Seiten vom Verlag zur Verfügung, die ich übrigens jetzt schon überschritten habe, obwohl noch zwei Kapitel fehlen. Aber was der Leser erwarten kann ist, dass einzelne Kindheitserinnerungen aufblitzen, die er aus den Videos nicht kennt und dass die großen Einbruchsgeschichten wie “Malibu” oder “Schuh-Goertz” wesentlich detaillierter erzählt sind. Die Videos sind mehr oder weniger dahingelabert und jetzt habe ich die Gelegenheit, mir meine Sätze genau zu überlegen. Es wird noch lebendiger, noch bildlicher.

“Shore, Stein Papier ─ Mein Leben zwischen Haft und Heroin” von $ick erscheint am 4.10.2016 im Verlag Piper.

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